Der bleierne Schlaf


1997 vom Autor Ray O. Nolan befragt, schilderte Atuka-hé, ein indianischer Schamane, seine Zukunftsvisionen
(aus Ray O.Nolan: "Der Seher").

»Nein — ich spüre, was du denkst. Viele sehen das Ende wie du, aber es wird nicht kommen! Nur bleierner Schlaf liegt über der Welt. Grau, matt. Die weißen Menschen sind müde, sie glauben an nichts mehr, oder sie sind verblendet durch andere und glauben das Falsche. Kluge, aber abgestumpfte Menschen. Nur die Jugend ist lebendig und verlacht die Alten. Alles lebt weiter im Grau dahin, im Dämmerschlaf."
...(es folgen Passagen über Unwetter und Flugzeugabstürze) ...
"Dann, weißer Mann, nähert ihr euch dem Punkt, der euch ärmer macht, als wir es sind. Du wirst es sehen — zwei, drei Mal passiert es im kleinen, dann kommt der Schock. Ich sehe Münzen, die verschmelzen, brennende Geldnoten in den Händen unzähliger Menschen. Es wird wenig wert sein, das Geld, immer weniger, und keiner will sich davon trennen. Das ist merkwürdig. Ihr beweint das Geld und seht die Früchte nicht an den Bäumen! Du siehst, daß ich darüber lache, aber viele werden weinen. Vieles wird anders mit dem Geld, es bleibt euch erhalten, aber es wird ein neuer Anfang gemacht werden, der viele ins Unglück stürzt. Ziemlich anders ... ziemlich anders ... und erst spät im Jahr."

Die meisten Menschen können nur noch in der Kategorie Geld denken. Alles Handeln ist danach ausgerichtet und darauf, was man dafür konsumieren und damit für Spaß haben kann. Ein besonders deutlicher Ausdruck ist: "Was nicht viel kostet ist nicht viel wert.". Der Begriff des Wertes ist nur noch auf das Geld bezogen, andere Werte werden nicht mehr akzeptiert.

Daß damit keine Zufriedenheit zu erlangen ist, zeigt sich in der bleibenden Spannung und Gier nach mehr - die man mit noch mehr Geld zu befriedigen sucht. Das führt zu immer schwachsinnigeren Angeboten, die dem Menschen erst durch ein aufwendiges "Marketing" schmackhaft gemacht werden müssen (weil von allein kein Mensch darauf kommen würde, in scheinbarem Kontakt mit einer Scheinwelt vor einem 1,2GHz-Rechner sein Leben zu verplempern). Auch die "Unterhaltung" muß immer schriller, tabuloser und oberflächlicher werden (Leichen, Titten, Stefan Raab).

Kommt es zu einer Entwertung des Geldes, hat das nicht nur Armut und Elend zur Folge - auch die Oberflächlichkeit eines geldabhängigen Wertesystems wird sichtbar und die plötzliche Inhaltslosigkeit des Lebens. Nicht nur das Geld, auch das Leben wird entwertet. Was, wenn einem nichts mehr zum Sinn des Lebens einfällt, falls man Geld und das dafür Käufliche ausklammert? Was, wenn man den Wert dessen nicht mehr erkennt, was keinen Strichcode trägt?

29.07.2002

Torsten Reichelt

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Das Umdenken