Die Rote Fahne: Kommunistische Literatur?


A: Schauen Sie bitte! Kommunistische Literatur!

B: Hallo. Welche Partei vertreten Sie denn hier?

A: Die kommunistische Partei.

B: Die KPD?

A: Nein. Die kommunistische Partei, die revolutionäre Vorhut der Arbeiterklasse, die sie in der proletarischen Revolution anführt.

B: Und was ist dann die KPD? Ist die Ihnen nicht radikal genug?

A: Wissen Sie, was radikal bedeutet?

B: Was meinen Sie?

A: Radikal kommt von Radix, die Wurzel. Wir Kommunisten gehen an die Wurzel des Übels der kapitalistischen Gesellschaft, an das Privateigentum an gesellschaftlichen Produktionsmitteln. Dieses müssen wir beseitigen.

B: Ich habe das Statut der KPD gelesen. Das fand ich sehr gut, verglichen mit der PDS zum Beispiel. Und ich glaube, da stand auch etwas über die Beseitigung des Privateigentums drin.

A: Natürlich steht da was über die Beseitigung des Privateigentums drin. Natürlich ist das Statut der KPD nicht schlecht, wenn Sie die PDS zum Vergleich heranziehen. Natürlich ist der Einäugige im Land der Blinden König. Trotzdem ist das Statut der KPD nicht gerade das Manifest der Kommunistischen Partei. Und das schrieben Marx und Engels schon vor über 150 Jahren.

B: Sie sind wohl ein "Superkommunist"? Sie kritisieren eine linksradikale Partei, weil sie Ihnen angeblich nicht links und radikal genug ist! Das klingt sehr nach einem Sektierer.

A: Es gibt wohl nur wenige noch verschwommenere Begriffe als "links". Links von wem? Und unter Sektierer versteht man Jemanden, der eine eigene religiöse Richtung von einer großen Religion abspaltet. Aber lassen wir das.

Natürlich kann ich meine Kritik an der KPD begründen. Ich habe zufällig "DIE ROTE FAHNE" dabei, immerhin das Zentralorgan der KPD. In der Novemberausgabe war ein so verheerender Leitartikel, daß ich eine Erwiderung schreiben will. So trifft sich gut, daß ich die Stellen bereits markiert habe, die einer kommunistischen Zeitung unwürdig sind. Die Überschrift lautet: Gegen "Neo"-Liberalismus und "Neo"-Faschismus.

Das geht schon in der Einleitung los:
"Immer deutlicher tritt zutage, daß die neoliberalistische Regierungskonzeption den nationalen Interessen des Volkes von Grund auf widerspricht und der entschlossene Kampf dagegen zu einer erstrangigen Aufgabe aller demokratischen Kräfte geworden ist." (Die Rote Fahne, 86. Jahrgang, Nr. 11, S. 1)

Als ob Marx sein "Kapital" nie geschrieben hätte! Neoliberalistische Regierungskonzeption! Was soll der Unsinn? In der DDR lernte schon jedes Schulkind, daß der Staat das Machtinstrument der herrschenden Klasse ist. Von Regierungskonzeption kann bei einer bürgerlichen Marionettenregierung keine Rede sein. Und was soll das Nachplappern des bürgerlichen Begriffs "Neoliberalismus"?

Im Text wird teilweise richtig analysiert, daß diese Politik nichts Anderes ist als der Übergang zur faschistischen Terrorherrschaft. Weil nämlich der Kapitalismus in seiner imperialistischen Phase wieder mal in einer seiner unumgänglichen Überproduktionskrisen, einer Weltwirtschaftskrise, angekommen ist.

B: Sie sagen also, daß das richtig analysiert ist. Vielleicht ist es Absicht, gewohnte Begriffe zu verwenden, damit der Artikel VERSTANDEN wird.

A: Genau das ist eben nicht möglich. Wir Kommunisten kennen die gesellschaftlichen Veränderungen und ihre Ursachen. Nur deshalb können wir mit viel gutem Willen aus dem Text das Richtige herauslesen. Eine kommunistische Zeitung sollte aber vor Allem aber auch Nicht-Kommunisten erreichen. Marx wußte: "...allein auch die Idee wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift."

B: Nun, dann ist der Artikel wohl nur ungeschickt formuliert. Ihnen als "Superkommunist" ist er deshalb nicht GUT GENUG. Aber vielleicht können Sie mit Ihren hohen Ansprüchen nur nicht erkennen, daß er GUT ist.

A: Schön wärs. Ich will mir hier die Analyse des Textes sparen, der teilweise die Parallelen zwischen dem Vorabend der faschistischen Terrorherrschaft 1933-45 und dem Aufdämmern einer erneuten faschistischen Epoche richtig beschreibt. Aber um nochmals auf Begriffen herumzureiten: das ist kein "Neo"-Faschismus, sondern der stinknormale Faschismus in der stinknormalen imperialistischen Phase des stinknormalen Kapitalismus.

Richtig schlimm ist der im Artikel genannte "Ausweg". Die Wahrheit über die Regierungspolitik blitzt kurz auf: "Aus dem einfachen Grunde, weil sie voll den Interessen des Finanzkapitals entspricht. Diese Interessen werden von der Schröder-Fischer-Regierung artikuliert und bedient." (ebenda, S. 3)

Aber dann: "Aus all den Gründen erklärt die KPD:
Die Agenda 2010 ist ein undemokratisches und unsoziales Machwerk, das einzig und allein im Interesse der Banken und Konzerne durchgepeitscht werden soll.
Dieses imperialistische Machwerk muß zu Fall gebracht werden."

B: Aber das stimmt doch. Das ist doch eine Absage an die imperialistische Politik. Das ist die Forderung, ihr entgegenzuwirken. Das ist der Aufruf zum Widerstand.

A: Widerstand gegen was? Hier ist keine Rede von Beseitigung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, der GRUNDLAGE imperialistischer und faschistischer Politik. Hier ist keine Rede davon, WER gegen WEN WAS tun soll. Dieser Artikel ist planloses Gemecker, weder fundierte Analyse noch brauchbares Programm. Eines Leitartikels im ZENTRALORGAN einer KOMMUNISTISCHEN PARTEI absolut unwürdig.Ganz zu schweigen davon, daß der Autor, Prof. Kurt Tiedke, Leiter der Parteihochschule der SED war.
Verstehen Sie mich nicht falsch. "DIE ROTE FAHNE" steht dem Kommunismus am nächsten. Der Artikel ist vielfach besser als Alles, was in den Kapitalistenmedien steht. Aber er ist nicht radikal. DIE ROTE FAHNE ist nicht radikal. Leider muß man das auch von der KPD sagen, und sei es nur, weil so etwas in ihrem Zentralorgan erscheint.

B: Das klingt irgendwie überzeugend. Aber meckern Sie jetzt nicht selbst auch nur? Was haben Sie denn zu bieten, das an die Wurzel geht, radikal ist?

A: Ich sagte das bereits: Schauen Sie bitte. Kommunistische Literatur.

30.11.2004

Torsten Reichelt

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