Ist die Europäische Union zu retten?
Wen interessiert's?
Die Europäische Union ist ja in nur zwei Wochen gleich zweimal schwer ins
Straucheln gekommen. Erst die Ablehnung der Verfassung in Frankreich und den
Niederlanden und jetzt der Eklat auf dem EU-Gipfel, auf dem kein Haushaltsplan
verabschiedet werden konnte und nicht viel an Handgreiflichkeiten fehlte. Von
den obligatorischen Verletzungen des Stabilitätspaktes und anderen
Kleinigkeiten ganz zu schweigen.
Was hat es aber mit der Ablehnung auf sich? Mit der EU-Verfassung soll der
Kapitalismus festgeschrieben werden (Artikel I-3, Absatz 3, mit dem schönen
Begriff „soziale Marktwirtschaft" umschrieben), womit schlagartig alle
sozialistischen Bewegungen verfassungswidrig wären. Auch der Pflicht zur
ständigen Aufrüstung (Artikel I-41, Absatz 3) kann ich nicht zustimmen – und
die Franzosen und Niederländer offenbar auch nicht. Ein weiteres Ziel der EU,
die Löhne in der gesamten EU auf das Niveau Lettlands oder der Slowakei zu
drücken (durch die Freizügigkeit der Lohnarbeiter, ab Artikel III-133, und die
Freizügigkeit von Dienstleistungen, ab III-144), hat leider auch zur Folge, daß
sich dann der Konsum auf dem Niveau Lettlands oder der Slowakei einpendeln
wird. Nicht unbedingt lukrativ für Franzosen und Niederländer.
Wer ist also daran interessiert, die EU-Verfassung zu verabschieden? Ganz
einfach: Das europäische und internationale Finanzkapital. Billiglohn,
Hochrüstung und gesetzliche Festschreibung des Kapitalismus – das klingt nach
Schlaraffenland. Zumindest vorübergehend. Deshalb wird in den meisten Medien
(wem die wohl gehören?) auch peinlich vermieden, inhaltliche Fragen und
Probleme der EU-Verfassung zu behandeln. Es wird so getan, als steckten
egoistische und nationalistische Interessen oder einfach Ängstlichkeit der
Bürger hinter den Abstimmungsergebnissen.
Ob diese EU zu retten ist, kann dem Lohnarbeiter herzlich egal sein. Sie ist
ein Machtinstrument des Großkapitals.
26.06.2005
Torsten Reichelt
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