Wahre Freunde
A: Das war wirklich ein schöner Abend. Nach zehn Jahren, außer den paar Telefonaten! Kaum zu glauben, wir waren mal die besten Freunde. Ach was, wir sind es ja noch!
B: Zum Glück. Vielen Dank nochmal. Ich meine, daß Du meine Frau und mich einfach so in die Semperoper eingeladen hast.
A: Nicht der Rede wert. Immerhin verdiene ich gut. Daß ich damals nach der Wende gleich in den Westen bin und die viele Arbeit hat sich gelohnt. Außerdem bin ich nur ein paar Tage hier. Meine Frau wollte in die Semperoper und ich wollte mal wieder mit Dir weggehen. Und so dick hast Du’s ja nicht.
B: Das kannst Du laut sagen. Mit dem Arbeitslosengeld 2 kommen wir nicht gerade weit. So ein Schwachsinn! Du arbeitest immer mehr und wir gar nicht. Und Deine Frau ja auch nicht.
A: Aber weil die das nicht mehr muß. Die hat auch genug mit den Kindern und im Haus zu tun. Und dann noch das ganze ehrenamtliche Zeug! Zum Glück läßt die mich mit dem Emanzenquatsch in Ruhe. Jeden zweiten Tag im Frauenhaus, da fehlte bloß noch, daß ich mir die “Frauenschicksale” anhören muß. Ich kann ja nichts dafür, daß die keinen so netten Kerl wie mich gefunden haben.
B: Mit’m großen Auto und Haus. Der Märchenprinz!
A: Der leider kaum in seinem Schloß ist. Manchmal komme ich mir eher vor wie der Fischer aus dem Märchen “Der Fischer und seine Frau”.
B: Ach komm, Du hast doch bevor Du die hattest genauso gerackert. Jetzt hast Du doch Alles, was man braucht. Kannst Du jetzt nicht kürzer treten?
A: Vielleicht wenn die Kinder aus’m Haus sind. So dick ist mein Polster auch nicht. Und wo wir wohnen, können die nicht irgendwie rumlaufen. Dann noch Cartclub, Musikstunden... Das läppert sich. Die Probleme habt Ihr nicht.
B: Nee, unsere Kinder können rumlaufen, wie sie wollen. In dem Viertel, wo die Langzeitarbeitslosen und Umsiedler wohnen, guckt Keiner auf die Klamotten. Clubs und Musikstunden können die Kinder in der Gegend sowieso vergessen. Eine längere Ausbildung und ein Studium auch. Na, den Proleten wird eben wieder ihr Platz zugewiesen.
A: Warum so zynisch? Klar tuts mir leid, daß es Dir nicht besser geht. Aber das trifft ja Viele. Da kann man bei der Wirtschaftslage nichts machen.
B: Ich hör wohl nicht richtig? Warst Du nicht mal Agitator in der FDJ? Und Offiziersbewerber? Hast Du Alles vergessen?
A: Ach komm, die Zeiten haben sich geändert. Überhaupt: Jetzt sind unsere Frauen weg. Die konnten sich sowieso nicht riechen. Der Abend ist noch jung - gehen wir doch in unsere Kneipe von damals. Mann, waren das Zeiten!
B: Richtig. Waren. Aus der Kneipe hat so’n Wessi - oh Entschuldigung - jedenfalls hat da einer so ne schicke Bar draus gemacht. So für Schlipsträger und aufgetakelte Schicki-Micki-Weiber. Außerdem habe ich morgen früh wieder mal so’n kurzfristigen Termin beim Arbeitsamt. Und meine Frau wartet auch. Aber wir können uns morgen Abend sehen. Da ist um sechs Montagsdemo. Dort könntest Du wirklich als Freund was für mich tun: einfach teilnehmen. Wer weiß, wann Du dran bist und Solidarität brauchst? Im Westen solls ja auch immer mehr Firmen erwischen.
A: Das wünschst Du mir wohl? Bei aller Freundschaft - ich hänge doch nicht im Urlaub auf Demos rum. Was heißt Freundschaft - ich schenke Euch Karten für die Semperoper, aber dem gnädigen Herrn Arbeitslosen reicht das nicht. Ich soll auch noch unterstützen, daß er mehr Geld kriegt, was ich dann bezahlen muß! Nee, danke. Auf solche Freunde kann ich verzichten.
B: Na wenigstens sind wir hier mal einer Meinung. Tschüß.