Das Gefangenendilemma

Spieltheorie, Sozialismus und Gebot der Nächstenliebe


Ich möchte erklären, was wir aus Spielen lernen können. Ihr werdet zunächst darüber lächeln, aber die Spieltheorie liefert Beweise, daß nur der Sozialismus/Kommunismus ein langfristiges bestmögliches Überleben der Menschheit in und mit ihrer Umwelt ermöglicht. Und ihr werdet sehen, daß das ganz und gar keinen spielerischen Charakter hat.

Daß der Sozialismus eine objektiv notwendige Form zwischenmenschlicher Beziehungen der Zukunft ist, ist weiß Gott keine neue Idee. Aber mittels extrem einfacher Modelle aus der Spieltheorie läßt sich diese Idee Jedem narrensicher begründen und nachweisen, daß unsere jetzige kapitalistische Gesellschaftsordnung nicht nur sich selbst zerstört, sondern auch ständig die Überlebensbedingungen künftiger Generationen verschlechtert.

Das christliche Gebot "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst." läßt sich mit Hilfe des Gefangenendilemmas ebenfalls als optimales Verhaltensmuster nachweisen und in seiner Bedeutung besser verstehen. Deutlich wird, daß die oft beschworene christliche Nächstenliebe eine unvollständige und damit falsche Auslegung des Gebots ist.


Inhalt
1. Gegenstand der Spieltheorie
2. Destruktive Spielideen
3. Betrügerische Spielideen
4. Konstruktive Spielideen
5. Die andere Spielidee
5.1. Der Hausbau
5.2. Das Gefangenendilemma
5.3. Ausgewählte Modelle?
5.4. Kooperative Strategien und "tit-for-tat"
5.5. Übertragung auf zwischenmenschliche Beziehungen
6. Der Sozialismus/Kommunismus
7. Ideologische Arbeit
8. Das Gebot der Nächstenliebe
9. Sozialismus im Kopf
10. Sofortige Möglichkeiten
11. Verweigerte Kooperation im internationalen Maßstab
12. Umwelt
13. Die Notwendigkeit von Kontrollmechanismen


1. Gegenstand der Spieltheorie   [zum Inhaltsverzeichnis]

Die Spieltheorie beschäftigt sich mit den theoretischen Hintergründen von Spielen (klingt banal, aber wußtet ihr das schon?).

Eine Frage der spieltheoretischen Analyse des Schachspiels wäre z.B.: Wieviele und welche Stellungsmöglichkeiten ergeben sich aus den 8x8 Feldern und 2x16 Figuren bei vorgegebener Ausgangsposition und Bewegungsmöglichkeit verschiedener Figurengruppen? Die Antwort auf diese Frage und die Analyse folgerichtiger Stellungen auf informatorischer Basis sind regelmäßig Gegenstand von Tournieren Mensch-Maschine oder Maschine-Maschine. Ersteres zum Vergleich menschlicher Kreativität mit den Fähigkeiten des Individuums, letzteres zum Nachweis der Überlegenheit einer Hard- oder Softwareschmiede über die andere.


2. Destruktive Spielideen   [zum Inhaltsverzeichnis]

Apropos Schachspiel. Dies ist ein besonders brutales Beispiel einer destruktiven Spielidee. Und sehr bezeichnend für menschliches Verhalten. Nicht umsonst wird es "Spiel der Könige" genannt.

Zwei Kontrahenten stehen sich mit entgegengesetzten Interessen auf demselben Gebiet gegenüber. Zunächst wohlgeordnet, führt der Spielverlauf zu hohen Verlusten auf beiden Seiten, die Ordnung wird (außer bei extrem unterschiedlicher Spielstärke der Gegner) aufgelöst und weicht einem Durcheinander. Die anspruchsvolle Logik ist die zerstörerische Logik des Krieges.

Nicht so ganz unähnlich dem tatsächlichen Leben. Dreh- und Angelpunkt ist der König, der am Wenigsten kann (gemessen an Bewegungsmöglichkeiten), am Wenigsten leistet und dem doch alle anderen Figuren geopfert werden.

Destruktive Spielideen finden sich bei den meisten Spielen: da wird "geschlagen", "gestochen", "ausgenommen"; kurz: es existiert ein "Gewinner" und ein "Verlierer". Das Spiel ist darauf orientiert, zum eigenen Nutzen dem Anderen zu schaden.


3. Betrügerische Spielideen   [zum Inhaltsverzeichnis]

Sie sind eine Sonderform destruktiver Spielideen. Ich rede hier nicht von Betrug (Hütchenspiel, Falschspiel), sondern von betrügerischen spieltheoretischen Grundlagen.

Bei ihnen gewährleistet schon der mathematische Hintergrund, daß nur der Betreiber des Spiels auf Kosten der Spieler gewinnt. Dies wird aber mehr oder weniger geschickt durch die Teilnahme vieler Spieler und die Gewinnmöglichkeit einzelner Spieler vertuscht. Beispiele sind Roulette, Spielautomaten und das (so beliebte) Lotto. Übrigens ist Lotto das im Verhältnis Ausschüttung/Einnahmen betrügerischste mir bekannte Spiel. Ich bin mir nicht sicher, glaube aber, selbst die Pyramidenspiele hatten einen größeren Anteil der Ausschüttung.


4. Konstruktive Spielideen   [zum Inhaltsverzeichnis]

Aber nicht alle Spiele haben destruktiven oder betrügerischen Charakter. Man denke an Baukästen, Lern- und Spaßspiele. Selbst Spiele mit destruktivem Charakter können teilweise konstruktiv (also zum Nutzen aller Spieler) gespielt werden. Ich erinnere mich an eine Spielrunde in Roßleben (Kalibergbaugebiet), in der Alle beim Knobeln mit großem Ehrgeiz nach dem Gewinn trachteten, der darin bestand, die nächste Runde geben zu dürfen.


5. Die andere Spielidee   [zum Inhaltsverzeichnis]

Die Spieltheorie kann noch mehr: Was, wenn nicht vorgegeben ist, welches Verhalten (im eigenen, fremden oder gemeinsamen Interesse) zum Erfolg führt, sondern erst die frei wählbare Strategie über Nutzen oder Schaden entscheidet? Da das sehr theoretisch klingt, möchte ich zwei Beispiele erläutern:


5.1. Der Hausbau   [zum Inhaltsverzeichnis]

Spielidee:

- Zwei Siedler kommen in unerschlossenes Gebiet. Da sie nicht schwul sind, möchten sie beide ihr eigenes Haus.
- Bauen beide ihr Haus für sich, benötigen beide eine Alleinhausbauzeit (AHBZ).
- In Gemeinschaftsarbeit benötigen sie 1/3 AHBZ pro Haus, was aus der arbeitsteiligen Zeitersparnis resultiert. Das wird mir Jeder bestätigen, der auch nur ein größeres Zelt versucht hat, allein oder zu zweit aufzustellen.


*) Angaben in den Wertefeldern: Fertigstellungszeitpunkt der Häuser für Siedler 1; beide Häuser; Siedler 2

- Die beste Lösung besteht darin, erst das Haus des Einen zu bauen, wo sie nach 1/3 AHBZ Unterschlupf vor Unwettern finden. Das zweite Haus ist nach 2/3 AHBZ fertig.
- Diese optimale Lösung erschließt sich nicht der Erfahrung (es ist ja laut Ansatz die erste gemeinsame Anforderung), sondern der Vernunft.


5.2. Das Gefangenendilemma   [zum Inhaltsverzeichnis]

Ähnlich angelegt und ausgiebig untersucht ist das Gefangenendilemma. Spielidee:

- Zwei Landstreicher werden gefangen (bewußt werden zwei Landstreicher gewählt, um moralische Beweggründe auszuschließen).
- Beide haben nachweisbare leichte Verbrechen begangen (z.B. Diebstahl), wofür sie 1/2a Knast ernten.
- Sie haben ein gemeinsames schweres Verbrechen (z.B. Raub mit Körperverletzung) begangen, welches ihnen nur mittels Belastung durch den Anderen nachgewiesen werden kann und jeweils 5 Jahre Knast einbringt.
- Sie werden getrennt verhört und ihnen wird angeboten, den jeweils Anderen bezüglich des schweren Verbrechens zu belasten und dafür für die geringen Verbrechen straffrei auszugehen. Daraus ergibt sich folgendes Schema (zu beachten ist, daß sich die Begriffe kooperativ und nichtkooperativ auf die Justiz beziehen, da die Gefangenen ja laut Ansatz unabhängig entscheiden):


**) Angaben in Wertefeldern: Strafe für Landstreicher 1, gesamt; für Landstreicher 2

- Die optimale Lösung ist wiederum die auf Vernunft basierende, selbst unter Inkaufnahme eigenen Schadens den größtmöglichen Schaden zu vermeiden.
- Die schlechteste Lösung für den Einzelnen ist die eigene Belastung (Altruismus), der 5 1/2 Jahre Knast bringt.
- Gleich schlecht wirkt sich für den Zweiten aus, wenn er verweigert und der Erste aussagt - ebenfalls 5 1/2 Jahre, nach denen er aber wieder frei ist, was für den Ersten gesundheitliche Nachteile bringen könnte.


5.3. Ausgewählte Modelle?   [zum Inhaltsverzeichnis]

Nun kann man einwenden, dies seien wenig repräsentative und stark vereinfachte Modelle, die mit den komplexen Anforderungen in zwischenmenschlichen Beziehungen nicht vergleichbar sind. Bei genauerer Betrachtung lassen sich aber die meisten Vorgänge in ebensolche einfachen Probleme auflösen. Zudem können als "Spieler" nicht nur einzelne Menschen betrachtet werden, sondern ebenso Gruppen.

Als ich das erste Mal vom "Gefangenendilemma" hörte, war mir die Allgemeingültigkeit und Tragweite auch nicht klar. Allerdings hat die Kenntnis des Gefangenendilemmas (oder hatte es zumindest bei mir) die Nebenwirkung, alltägliche Probleme nach diesem Modell aufzulösen und z.B. Problemlösungsvorschläge unserer lieben Berliner Parasiten danach zu bewerten. Erstaunlich ist dabei nicht nur, daß man den Unsinn auf Anhieb erkennt, sondern gleichzeitig die Schwachstellen, woran die Ansätze gesetzmäßig scheitern werden. Nicht, daß das nicht auch anders ginge, aber so gehts ganz einfach.


5.4. Kooperative Strategien und "tit-for-tat"   [zum Inhaltsverzeichnis]

Da das Gefangenendilemma so einfach ist, fand Ende der 90er eine Ausschreibung statt, für welche die Einsender verschiedene Rechnerprogramme einsandten, welche dann vor dem Hintergrund eines "erweiterten Gefangenendilemmas" (mehr Spieler und Runden) gegen- (oder besser mit-)einander "antraten". Dabei kamen verschiedene Strategien zum Einsatz: kooperative, nichtkooperative, chaotische und andere unterschiedlicher Kompliziertheit. Bewertet wurde das Ergebnis mittels Punktwerten, die das jeweilige Programm erreichte.

Insgesamt zeigten sich kooperative Strategien den anderen überlegen. Das zweitbeste Ergebnis wurde mit der sogenannten "tit-for-tat"- Strategie erzielt, die folgendermaßen funktioniert:
- Ich biete dem Mitspieler immer zuerst Zusammenarbeit an (bezogen auf das Gefangenendilemma: verweigere die Aussage).
- Verweigert er die Zusammenarbeit (im Gefangenendilemma: sagt gegen mich aus), verweigere ich künftig auch die Zusammenarbeit.
- Bietet der Mitspieler später von sich aus Zusammenarbeit an, verhalte ich mich wieder kooperativ.

Platz 1 belegte eine andere kooperative Strategie mit demselben Grundmuster wie "tit-for-tat": Biete Gemeinnutz an und verweigere bei Zuwiderhandlung. Der Unterschied besteht darin, daß es eine angepaßte Strategie beinhaltet: die Anzahl eigener Verweigerung wird von der Anzahl der Verweigerungen des Mitspielers abhängig gemacht. Allerdings erfordert das einen hohen Programmieraufwand und ist nicht ohne Weiteres auf alltägliches Handeln übertragbar, da sich die Regeln mit zunehmender Teilnehmerzahl und Zahl der Spielrunden bis zur Unüberschaubarkeit komplizieren.

Diese Strategie ist nicht daran gebunden, daß ihr alle Teilnehmer folgen, sondern zwingt die Anderen zu kooperativem Verhalten, wenn sie eigenen Schaden vermeiden wollen. Leicht nachvollziehbar ist, daß nur bei kooperativem Verhalten aller Mitspieler das optimale Ergebnis erzielt wird.


5.5. Übertragung auf zwischenmenschliche Beziehungen   [zum Inhaltsverzeichnis]

Überlegungen zur Umsetzung von "tit-for-tat" im Alltagsverhalten führen zu den optimalen Verhaltensmustern, die dem Einzelnen und der Gemeinschaft nutzen:

1. Wie Du mir, so ich Dir. (Gemeinnutz)
2. Wie ich Dir, so ich mir. (weder Egoismus noch Altruismus)
3. Ich verweigere Nichtteilnehmern die Zusammenarbeit. (bekämpfe sie nicht, aber isoliere sie)

Wie ebenfalls klar wird, erfordert das optimale Ergebnis ein vernünftiges Herangehen. Schematisches und kurzsichtiges Herangehen, wie es derzeit die deutsche Politik bestimmt, wird mit absoluter Sicherheit das Ziel verfehlen. Ganz abgesehen davon, daß das kapitalistische System von vornherein nicht auf Gemeinnutz ausgerichtet ist. Welchen Prinzipien sollte vernünftiges Verhalten folgen und dadurch Selbst- und Fremdkontrolle gestatten?

1. Das Ziel muß mit den zur Verfügung stehenden Informationen und Mitteln auf dem geplanten Weg erreichbar sein.
2. Ziel, Mittel und Wege muß ich vor dem Rest der (Um-)Welt verantworten können, das heißt, gemeinnützig handeln.
3. Mir selbst und Anderen muß ich das wegen der Gefahr des (Selbst-)Betrugs klar und eindeutig begründen können.
4. Jedem, der diese Grundsätze verletzt, verweigere ich die Zusammenarbeit.

Immanuel Kants kategorischer Imperativ beinhaltet in etwa dieselbe Aussage: "Handle stets nach der Maxime, durch die Du wollen kannst, daß sie allgemeines Gesetz werde.".


6. Der Sozialismus/Kommunismus   [zum Inhaltsverzeichnis]

Als "Sozialismus/Kommunismus" wird üblicherweise eine "Gesellschaftsordnung" verstanden. Aber jede "Gesellschaft" ist die Summe und Überlagerung der Handlungen (Worte, Taten, Beeinflussung) ihrer Mitglieder. Also muß auch ein individuell sozialistisches/kommunistisches Handeln Grundlage dieser Ordnung sein. Ich möchte das kurz anhand des Gefangenendilemmas erläutern:

- Ziel der Entwicklung ist die kommunistische Gesellschaftsordnung, also ein allgemeines Handeln im Interesse der Gemeinschaft und der Umwelt und darüber zurückwirkend jedes Einzelnen.

- Das Optimum liegt in einer Gemeinnützigkeit Aller in allen Lebensbereichen. Jede individuelle Abweichung in einem noch so unbedeutend erscheinenden Bereich bleibt unter dem optimalen Ergebnis, schadet also der Gemeinschaft.

Die Prinzipien dieses Handelns hatte ich bereits genannt. Und daraus geht eindeutig hervor, warum Kapitalismus mit seinem unabdingbaren persönlichen Egoismus und der damit verbundene Verstoß gegen die optimalen Handlungsrichtlinien im globalen Maßstab unverschämten Reichtum Weniger, Armut Vieler, Umweltzerstörung, weltweite Konfliktherde und alle anderen bekannten negativen Folgen gesetzmäßig hervorbringt. Man muß dafür nur z.B. zwei Länder oder EU und Dritte Welt als "Spieler" betrachten. Sie können sich entweder auf vernünftiger Grundlage gegenseitig nutzen und durch Erfahrung den Nutzen verstärken oder sich gegenseitig schaden. Aber dieser Gemeinnutz darf sich eben nicht nur auf einer oder nach persönlichen Neigungen ausgewählten Ebenen abspielen, wenn Schaden vermieden werden soll.

Zurück zum Individuum: Wir kennen als individuelles Verhalten Egoismus, Altruismus, Masochismus, Sadismus, Autonomie und Anderes. Ein gleichwertiger Begriff für Gemeinnutz ist nicht gebräuchlich. Das heißt, Begriffe existieren schon, nämlich Sozialismus und Kommunismus. Sie sind nur als Beschreibungen individuellen Verhaltens nicht üblich.

Aus meiner Sicht ist der individuelle Sozialismus/Kommunismus ebenso Grundlage der zukünftig erforderlichen Weltordnung wie der "gesellschaftliche". Der Nutzen des Individuums für die Gemeinschaft ist nur dann zu erreichen, wenn es individuell gemeinnützig bzw. sozialistisch/kommunistisch handelt.

Es würde wohl zu weit führen, hier noch die Chaostheorie zu behandeln."Wie im Großen so im Kleinen" war schon den alten Griechen bekannt. Dieses Prinzip gilt auch in zwischenmenschlichen Beziehungen, vom Individuum bis zur Menschheit.


7. Ideologische Arbeit   [zum Inhaltsverzeichnis]

Dies erfordert eine breite und ständige ideologische Arbeit, die jedem Mitglied einer Gemeinschaft nicht nur vermittelt, was für den Aufbau des Sozialismus/Kommunismus erforderlich ist, sondern auch, warum. Und wenn's geht, auch narrensicher. Aus meiner Sicht ist die Spieltheorie dafür ein verständlicher Ansatz. Ich war immer wieder erstaunt, wie sich wie von selbst aus verschiedenen Modellen der Sozialismus als optimale Lösung anbot.

Wie wir am Scheitern des sozialistischen Aufbaus gesehen haben, genügt ganz offensichtlich nicht, wenn eine Führungsriege vorgibt, ein sozialistisches Bewußtsein zu haben, sondern muß das auch im persönlichen Handeln erkennbar vorleben. Weiterhin gehört dazu, daß Jedem entsprechend seinem Bildungsniveau Notwendigkeit und Inhalt vermittelt werden. Dazu reicht nicht, in Staatsbürgerkunde und ML auswendig gelernte Phrasen wiederzugeben (wie in der DDR), nur weil deren Kenntnis gut und Unkenntnis schlecht für die persönliche Karriere ist (ein rein egoistisches Motiv und aus meiner Sicht unvereinbar mit sozialistischem/kommunistischem Handeln).

Ich leugne nicht den Wert der tiefgründigen Analysen von Marx, Engels und Lenin. Aber für eine Beschäftigung damit muß erst einmal die Liebe zu Philosophie und Gesellschaftstheorie geweckt werden, und das geht nicht mit auswendig gelernten Formeln. Und ich glaube auch nicht, daß diese Gebiete sich allzu großer Beliebtheit erfreuen. Mir wurde das Ganze in der DDR jedenfalls gründlich verleidet. Ich kam zu der unumstößlichen Auffassung, daß der Kommunismus eine schöne Illusion ist, die am real existierenden Menschen scheitern muß. Eine falsche Ansicht, welche mir aber keiner stichhaltig ausreden konnte.


8. Das Gebot der Nächstenliebe   [zum Inhaltsverzeichnis]

Ich weiß, daß Gott und Jesus nicht bei allen hier Anwesenden beliebt sind. Deshalb möchte ich etwas zur Ehrenrettung beitragen und gleichzeitig die Erkenntnisse aus der Lösung des Gefangenendilemmas untermauern und erweitern. Ich möchte auch die Irrlehren der institutionellen Kirchen aufzeigen. In denen sehe ich die Schuldigen, welche aus revolutionärem Gedankengut "Opium des Volkes" (Marx) machten und dafür sorgten und sorgen, daß in unseren Medien allen Ernstes von "christlich abendländischer Tradition" oder "christlich regierten Bundesländern" die Rede sein oder ein Herr Bush in kriegstreiberischen Reden den Namen Gottes mißbrauchen kann..

Ich hoffe, ihr nehmt mir nicht übel, aus einem in diesem Kreis eher unüblichen Buch zu zitieren: der Bibel.

"28Und es trat zu ihm einer von den Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Und als er sah, daß er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen? 29Jesus aber antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das: «Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, 30und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften» (5. Mose 6,4-5). 31Das andre ist dies: «Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst» (3. Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese." (Markus 12,28ff.)

Zum ersten Teil, nämlich der Ergebenheit Gott gegenüber, möchte ich ein weiteres Zitat anführen, welches aus einer Version der zehn Gebote aus der Zeit Jesu stammt. Eine strenggläubige jüdische Gemeinschaft, vermutlich die Essener, lebten damals in den Höhlen von Qumran am toten Meer. Sie fertigten unter Anderem Abschriften der Heiligen Schriften für den Tempel in Jerusalem an. Diese versteckten sie, wahrscheinlich im Zusammenhang mit den Strafmaßnahmen der Römischen Besatzungsmacht infolge des Judenaufstandes 66-69 AD, in den Höhlen. Die Schriften wurden erst 1947 wiedergefunden, sind also den damaligen Ansichten näher als die gefilterte und veränderte Bibel. Dort lautet das erste Gebot: "Ich bin das Gesetz, Dein Gott, der Dich aus den Fesseln der Finsternis befreit hat." und später im Text: "Du sollst dir keine falschen Gesetze machen, denn ich bin die Weltenordnung, die alles einschließt."

Hier ist also nicht die Rede von einem bärtigen und manchmal leicht cholerischen alten Mann im Nachthemd, der irgendwo in den Wolken wohnt, sondern von objektiven Gesetzmäßigkeiten in Natur und Gesellschaft, die man erkennen und berücksichtigen muß, um Schaden zu vermeiden. Für mich klingt das eher nach Materialismus als nach Idealismus.

Ich will damit nicht vom Thema abweichen, sondern ausdrücken, daß die Worte und demonstrativen Taten Jesu wohl aus einem sehr genauen Verständnis der Existenz und des Inhalts der objektiven Gesetze stammen. So sollte man das "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst." verstehen: Nicht als freundlichen Hinweis, ein guter Mensch zu sein, sondern als Handlungsstrategie zur optimalen Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen.

Ich möchte an die optimale Lösung des Gefangenendilemmas erinnern: tit-for-tat. Die besteht nicht darin, sich selbstaufopfernd zu verhalten (Nächstenliebe), sondern beinhaltet auch den eigenen Schutz vor fremdem Schaden (Selbstliebe). Die gleichwertige Nebeneinanderstellung der Nächsten- und Selbstliebe ohne eine Bevorzugung einer von beiden und die zentrale Stellung im Alten und Neuen Testament klingt mir nicht danach, zufällig das Handlungsoptimum zu treffen. Man darf dabei nicht vergessen, daß zu Zeiten der Entstehung Religion, Philosophie und Naturwissenschaften noch nicht getrennt waren.

Das lehren die Kirchen natürlich nicht, da das fordern würde, gegen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen aktiv vorzugehen. Christentum und Duldung egoistischer und parasitärer Gesellschaftsordnungen wie des Kapitalismus sind unvereinbar.

Die fehlerhafte Interpretation, die vordergründig oder ausschließlich auf die Nächstenliebe orientiert, ist schon sehr alt: Man findet sie schon beim Apostel Paulus. Obwohl er in mehreren Briefen das richtige Zitat "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst." verwendet, zeigt er mehrfach mangelndes Verständnis: "In der Gemeinde soll einer den anderen als Bruder herzlich lieben und ihn höher stellen als sich selbst." (Römer 12;9), "Ihr sollt nicht an euch selbst denken, sondern an die anderen." (1 Korinther 10;24). Damit eng im Zusammenhang steht das Gedankengut des Duldens, Büßens und Leidens sowie der Unterordnung unter staatliche und kirchliche Obrigkeit, auch wenn deren Handeln offensichtlich christlichen Grundsätzen widerspricht. Das ist nicht das Gedankengut Jesu.


9. Sozialismus im Kopf   [zum Inhaltsverzeichnis]

Ich möchte noch auf ein weiteres Gebot verweisen: "9Sechs Tage sollst Du arbeiten, und alle Deine Dinge beschicken; 10Aber am siebenten Tage ist der Sabbath des Herrn, Deines Gottes. Da sollst Du kein Werk tun, noch Dein Sohn, noch Deine Tochter, noch Dein Knecht, noch Deine Magd, noch Dein Vieh, noch Dein Fremdling, der in Deinen Toren ist." (2 Mose 9;10)

Das heißt, daß man sich nicht nur der Arbeit widmen soll, sondern 1/7 seines Lebens der Erkenntnis der Gesetzmäßigkeiten der Welt. Ohne diese ist keine sinnvolle Arbeit möglich. Hier möchte ich nochmals auf die Lösung des Gefangenendilemmas verweisen, daß sich die optimale Strategie nur der Vernunft erschließt und man die Gesetzmäßigkeiten in Natur und Gesellschaft erst einmal kennen muß, um optimal handeln zu können.

Deshalb genügt eben nicht, die gesellschaftlichen Bedingungen und die Eigentumsverhältnisse zu ändern und eine führende Kraft mit der ganzen Theorie im Kopf zu haben, sondern jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft muß zumindest die wichtigsten Zusammenhänge kennen. Das entspricht wiederum einer Aussage der Bibel, nach der im Reich Gottes bzw. im Neuen Jerusalem "Gott unter den Menschen wohnen wird". Das heißt nicht "Neu-Jerusalem, Jesusstraße 3, 1. Stock rechts wird Gott wohnen", sondern daß die Menschen ganz alltäglich mit den objektiven und vom Menschen unbeeinflußbaren Gesetzmäßigkeiten des Universums umgehen werden.

Das unterstreicht die bereits genannte Notwendigkeit einer ständigen und umfangreichen ideologischen Arbeit. Aber anders als bisher, da ja beispielsweise auch Bildung und Erziehung in der DDR die Entwicklung eines "sozialistischen Bewußtseins" anstrebten. Allerdings mit offensichtlichem Mißerfolg. Trotz Durchlaufens aller politischen Standardschulen (Schule, Armee, Studium) begriff ich nie, was ein sozialistisches Bewußtsein sein und wozu es taugen soll. Auswendig gelernte Phrasen ersetzen kein Verständnis.

Ich halte für unabdingbar, daß die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse vor Allem von einer Veränderung in den Köpfen begleitet sein muß. Diese muß auch in den Handlungen der Menschen erkennbar sein, zuerst derer, die sich eine Führungsrolle anmaßen. Viele Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre waren in der DDR die lebenden Beweise, daß sie noch nicht einmal selbst ein sozialistisches Bewußtsein hatten. Darin unterschieden sie sich nicht von den falschen Lehrern in den Kirchen. Wenn ich auf eine Büchse voll Scheiße "Kaviar" schreibe, bleibt es doch eine Büchse voll Scheiße.


10. Sofortige Möglichkeiten   [zum Inhaltsverzeichnis]

Eine weitere Schlußfolgerung aus dem Gefangenendilemma ist, daß dieses optimale Verhalten (tit-for-tat) eben nicht daran gebunden ist, daß die gesamte Gesellschaft danach handelt, sondern auch im individuellen Maßstab die beste Lösung. Das gilt auch gegenüber nichtkooperativen, z.B. egoistischen Partnern. Ich meine damit, daß die Errichtung des Sozialismus/Kommunismus eben nicht erst eine Weltrevolution erfordert, sondern sozialistisches Verhalten von jedem Einzelnen im Kapitalismus gelebt werden kann und muß, um mit Wort und Vorbild Andere beeinflussen zu können.

Sie werden einwenden, das sei doch sehr theoretisch. Aber ich setze das bereits praktisch um: Ich verweigere dem System, soweit mir möglich, die Kooperation. Ich konsumiere nur das unbedingt Notwendige und minimiere die Geldmenge, die durch mich bewegt wird. Und ich versuche bei jeder sich bietenden Gelegenheit, Andere durch Wort und Vorbild zu beeinflussen. So kompliziert auch Vieles dargestellt wird, sind die Grundpfeiler des Kapitalismus im individuellen Maßstab recht einfach: Gier nach Besitz und Macht, Individualismus sowie die Angst vor materiellem Besitzstandsverlust und sozialem Abstieg. Und diesen Verhaltensmustern kann man sich nur selbst verweigern, eine Partei oder Priesterschaft kann da bestenfalls als Wegweiser dienen.

Dieses individuelle Verhalten und die gegenseitige Beeinflussung halte ich übrigens für die Grundlage der urchristlichen Gemeinden, die aber ideologisch zersetzt wurden und ihr Ende in der Erhebung des Christentums zur Römischen Staatsreligion im 4. Jahrhundert fanden - ein Geniestreich des Kaisers Konstantin.


11. Verweigerte Kooperation im internationalen Maßstab   [zum Inhaltsverzeichnis]

Hieraus ergibt sich auch, daß die zunehmende wirtschaftliche Kooperation mit kapitalistischen Unternehmen in den sozialistischen Ländern eine falsche Richtung war, aufgrund derer wir um der geliebten "Devisen" willen Waren und Patente jenseits aller Wirtschaftlichkeit verhökerten, häufig um egoistischen Besitzstrebens willen - um zum Beispiel Privilegierten Pkw der Marken Volvo und Golf zu beschaffen. Eine bedenkliche Entwicklung, die sich m.E. derzeit auch in China abzeichnet.

Aufgrund der gesetzmäßig egoistischen Handlungsweise kapitalistischer Unternehmen und Länder ist eine Zusammenarbeit zwar unter Umständen erforderlich, aber die Zielstellung sollte in einer sinkenden Tendenz bestehen.


12. Umwelt   [zum Inhaltsverzeichnis]

Man muß die Schlußfolgerungen des Gefangenendilemmas auch auf den größten Bereich ausdehnen, nämlich mit der Menschheit und der Umwelt als "Spieler". Daran wird besonders deutlich, daß das kapitalistische (und individuell egoistische) System zum Scheitern verurteilt ist. Der damit eng verbundene Wahn des ewigen Wachstums und wachsenden persönlichen Reichtums muß und wird in einer ökologischen Katastrophe enden. Einen kleinen Vorgeschmack bekommen wir ja schon in Form von zunehmenden Unwettern, Dürren, Artensterben und Anderem. Aber einen globalen ökologischen Kollaps kann sich wohl Keiner so richtig vorstellen.

Wenn sich der Mensch gegenüber der Umwelt egoistisch verhält, das heißt Ressourcen verplempert und Ökosysteme zerstört, zerstört er selbst die Existenzgrundlage künftiger Generationen. Ihr mögt das zunächst für Esoterik oder religiöse Spinnerei halten, werdet mir aber nach einiger Überlegung zustimmen, daß die nicht vernunftbegabte Umwelt gesetzmäßig nach dem "tit-for-tat"-Prinzip handelt. Der Schaden, den wir ihr zufügen, wird auf uns zurückfallen; religiös würde ich das als "Strafe Gottes" bezeichnen, als Materialist und Determinist als gesetzmäßige Folge menschlichen Fehlverhaltens. Für mich ist das gleichbedeutend.

Das ist nur vermeidbar, wenn in der künftigen Gesellschaft, dem Sozialismus/Kommunismus, auch die unbelebte und belebte Natur als Teil der Gemeinschaft betrachtet wird. Und dazu ist auch nur der Sozialismus/Kommunismus in der Lage, weil das kapitalistische Wertesystem trotz allen Gefasels von Umweltschutz und Nachhaltigkeit gesetzmäßig die Umwelt zerstört. Auch wenn in Deutschland durchaus einzelne Erfolge zu verzeichnen sind, schreitet auch hier die Umweltzerstörung weiter fort (von einem stabilen Zustand sind wir weit entfernt), ganz abgesehen von der Zerstörung, welche die "zivilisierte westliche Welt" durch Erzeugung von Armut in den armen Ländern anrichten läßt. Und letztlich sei darauf verwiesen, daß deutsche Unternehmen und Staatsbürger auch direkt daran teilnehmen.


13. Die Notwendigkeit von Kontrollmechanismen   [zum Inhaltsverzeichnis]

Ich hoffe, ich konnte aus den verschiedenen Blickwinkeln (Spieltheorie und Bibel) die Überlegenheit und Notwedigkeit des Sozialismus/Kommunismus verdeutlichen - wie auch die unbedingte Notwendigkeit ihrer Errichtung, um das langfristige Überleben der Menschheit zu sichern. Und hoffentlich konnte ich zeigen, daß die erforderlichen Veränderungen auch persönlicher Natur sind und sofort beginnen können.
Daß die sozialistische Weltrevolution kein plötzliches gewaltsames Ereignis ist, sondern ein langer Prozeß, ist nicht neu. Und diese Revolution kann sofort begonnen werden, wenn man sich von seinem Selbstbetrug trennt und nicht auf Andere hofft, sondern den Menschen "in die Pflicht nimmt", der als einziger mit Sicherheit beeinflußbar ist: sich selbst. Ich möchte damit keinesfalls die Notwendigkeit einer Organisation, einer führenden Kraft, bestreiten. Aber dieser ist nur gedient, wenn ihre Mitglieder die Theorie UND Praxis selbst kennen. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, daß das Umdenken und vor Allem Verhaltensänderungen langwierige Prozesse sind.

Der Imperialismus steuert deutlich sichtbar in eine revolutionäre Situation im Leninschen Sinne. Für diese Revolution im gesellschaftlichen oder gar globalen Maßstab sind aber zuerst Menschen erforderlich, die nicht nur die Theorie verstanden haben, sondern Erfahrung mit der alltäglichen Umsetzung, das heißt, die Revolution eigenen Denkens und Handelns weitgehend abgeschlossen haben.

Genau das war aus meiner Sicht einer der wesentlichen Gründe des Scheiterns des sozialistischen Aufbaus in den meisten sozialistischen Ländern: Die persönliche Integrität der Führung war nicht gegeben und Wort und Tat derer, die den Umgestaltungsprozeß anleiten sollten, standen im offensichtlichen Widerspruch.

Und nochmals möchte ich hier ein Bibelzitat anführen, welches Jesus auf die falschen Lehrer und Führer bezog (die Pharisäer und Schriftgelehrten, welche er ganz und gar nicht liebevoll als "Otterngezücht und Schlangenbrut" bezeichnete): "An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen." (Matthäus 8;16). Das heißt, Keiner soll in die Führungsriege aufgenommen werden, der im Handeln Anlaß zum Zweifel am sozialistischen Bewußtsein gibt oder dessen Handlungen nicht überprüfbar dem Aufbau des Sozialismus/Kommunismus dienen. Siehe Gregor Gysi und andere Heuchler in der PDS.

Bei der Herausbildung der führenden Kraft einer globalen kommunistischen Revolution und des kommunistischen Aufbaus muß ein Mechanismus der Selbstkontrolle den Aufstieg in Führungspositionen steuern. Diese Kontrolle muß innerhalb der führenden Kraft ausgeübt werden. Die führende Kraft muß insgesamt oder zumindest mehrheitlich aus moralisch integeren Personen bestehen, die einerseits unduldsam gegen Verfehlungen in den eigenen Reihen vorgehen und andererseits schon aus der Beobachtung jenseits jedes Zweifels an ihrer Rechtschaffenheit stehen.

Ich möchte den Vortrag mit einem weiteren Bibelzitat beenden: "Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird Euch solches alles zufallen." (Matthäus 6;33). Das heißt, jede Handlung soll sich am Ziel der objektiv notwendigen zukünftigen Weltordnung orientieren, die Manche als Reich Gottes und Andere als Kommunismus bezeichnen. Mir sind beide Begriffe recht. Das Ziel ist klar und es liegt an jedem Einzelnen von uns, sich ihm täglich zu nähern.

09.07.2003

Torsten Reichelt

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