Christen, Kommunisten und Gleichmacherei
Eine der beliebtesten bürgerlichen Scheißhausparolen gegenüber Kommunisten ist
die der Gleichmacherei. Der uniforme Durchschnitts-BRD-Bürger hat das nach
spätestens 20 Jahren propagandistischer Dauerberieselung in seine Meinung
übernommen und glaubt sogar, diese Meinung wäre eine eigene. Steter Tropfen
höhlt den Stein - und steter Medienkonsum ganz offensichtlich das Hirn. Trifft
man als Kommunist (oder / und Christ) ein solches Opfer der Verblödung, hat man
den Eindruck, gegen eine Wand von Radios, Fernsehern und Zeitungen anzurennen.
Das läuft dann etwa so ab (AM = Agitator / Missionar; SM =
Standard-Medienkonsument):
AM: Sehen Sie bitte! Seien Sie neugierig!
SM: Bin ich immer. Worauf denn?
AM: Darauf, wie wir eine vernünftige Zukunft gestalten. Oder glauben Sie, daß
wir das im Moment tun?
SM: Ganz bestimmt nicht.
Ich sehe hier auf den Heften den Fisch. Für welchen christlichen Verein
missionieren Sie denn hier? Und das ausgerechnet neben dem Herrn mit der roten
Fahne. Ich dachte schon, Sie gehören zusammen.
AM: Da liegen Sie völlig richtig. Ich missioniere hier nicht für eine
Glaubensgemeinschaft, sondern bin Christ. Ich glaube nicht, daß frömmlerische
Heuchelei und Gebete an einen weltfremden Götzen zu etwas Anderem führen, als
unsere jetzige zerstörerische Gesellschaft zu stabilisieren. So ein Mist steht
auch nicht in der Bibel. Die ist nämlich immer wirklichkeits- und
handlungsorientiert. Und deshalb bin ich Kommunist. Nicht obwohl, sondern
weil ich Christ bin.
SM: Schließt sich das nicht aus? Hat nicht Marx die Religion "Opium für das
Volk" genannt?
AM: Er schrieb "Opium des Volkes". Ich gebe zu, daß er keinen Unterschied
zwischen der Religion und ihrem Mißbrauch machte. Wer die Geschichte der
sogenannten "christlichen" Kirchen kennt, kann ihm das kaum verübeln. Ich sehe
jedenfalls keinen Grund, deswegen den Marxismus abzulehnen.
SM: Also sind Sie ein marxistischer Christ?
AM: Ein kommunistischer Christ. Schließlich gab es mehr Theoretiker des
Kommunismus als Marx. Und der Erkenntnisprozeß ist auch jetzt noch nicht
abgeschlossen, sonst wäre der sozialistische Aufbau in den meisten Ländern
nicht gescheitert.
SM: Das liegt daran, daß Christentum und Kommunismus gleichermaßen weltfremde
Utopien sind. Eben mit dem realen Menschen nicht machbar. Beide lassen keine
andere Meinung gelten und haben die Wahrheit gepachtet. Und beide streben die
Gleichmacherei an, die jede Motivation und damit den Fortschritt verhindert.
AM: Also müßte ich als Christ und Kommunist nach Ihrer Meinung Gleichmacherei
betreiben. Woher wissen Sie das?
SM: Das weiß doch Jeder.
AM: Ich habe nicht gefragt, ob das Jeder weiß, sondern woher Sie das wissen.
Habe ich Ihnen das gesagt oder ein anderer Kommunist?
SM: Weder noch.
AM: Wer dann?
SM: Sie sind ganz schön hartnäckig. Ich weiß es nicht mehr.
AM: Aber Sie wissen, daß es kein Kommunist war. Sie erwarten von Jemandem, der
den Kommunismus nicht so gut kennt wie ein Kommunist, eine kompetente
Information. Gehen Sie auch zum Fleischer, wenn Sie etwas über vegetarische
Ernährung wissen wollen?
SM: Sie versuchen, abzulenken. Ich sprach von Gleichmacherei, die Sie
betreiben, und die in den sozialistischen Ländern deutlich sichtbar die
Entwicklung bremste.
AM: Seltsamerweise kommt dieser Vorwurf von Leuten, die von Korruption und
Bereicherung ausgerechnet bei denen reden, welche ja angeblich die obersten
Gleichmacher waren. Ganz zu schweigen von Talenteförderung, sozialistischem
Wettbewerb und anderen Maßnahmen der Leistungsmotivation und -entfaltung. Nur
daß das Repertoire der Motivation im Sozialismus vielgestaltiger war als
schnöder Mammon. Daß der nicht glücklich macht, stellten schon die Beatles
fest: "Can't buy me Love".
So ist für mich motivierend, wenn mich jemand als Kommunisten bezeichnet, was
ich als Lob betrachte. Da ist sogar egal, ob das ein Kommunist tut oder
haßerfüllt ein Antikommunist.
Aber zurück zur angeblichen Gleichmacherei: Sie wissen ja, daß dem Kommunismus
eine wissenschaftliche Weltanschauung zugrundeliegt.
SM: Ja, aber was hat das...
AM: Zu einer wissenschaftlichen Weltanschauung gehört die Anerkennung und
Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse, oder?
SM: Ja sicher. Aber was ist mit der Gleichmacherei?
AM: Zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen gehören also auch die aus Biologie,
Psychologie und Soziologie. Die beweisen eindeutig, daß Menschen weder gleich
sind noch gleichgemacht werden können und dies zudem auch schädlich wäre, da
man dadurch die Vorteile der arbeitsteiligen Nutzung verschiedener Fähigkeiten
verlieren würde. So dumm ist kein Kommunist.
Im Gegenteil: Schon im Sozialismus besteht ein zentrales und erklärtes Ziel in
der allseitigen Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit. Dazu hat jeder
das gleiche Recht. GleichBERECHTIGUNG ist eine der Grundlagen des Kommunismus,
nicht Gleichmacherei.
SM: Aber auch in der sozialen Marktwirtschaft. Das steht sogar im Grundgesetz.
AM: Was ist an der imperialistischen Marktwirtschaft sozial? In den letzten
Jahrzehnten wurde die extreme Benachteiligung in arme Länder, den Hinterhof des
deutschen Wohlstands, ausgelagert. Aber zunehmend sind auch Deutsche davon
betroffen. Zunehmend auch Arbeiter in Vollbeschäftigung, die mehr und mehr
Arbeit bei sinkenden Reallöhnen und abnehmender sozialer Sicherheit leisten
müssen.
SM: Das ist doch gerecht. In anderen Ländern arbeiten die Menschen noch viel
härter für noch weniger Lohn.
AM: Was aber für die dortigen Schmarotzer ebensowenig gilt wie für die
hiesigen. Ich rede von der Bourgeoisie.
SM: Bourgeoisie und Proletariat, vielleicht sogar noch Klassenkampf! Daran
erkennt man euch Ewiggestrige, Sie wollen einfach die moderne Gesellschaft
nicht akzeptieren und halten sich an veralteten Begriffen fest.
AM: Ich merke schon: Immer, wenn Sie keine sachliche Erwiderung finden,
wechseln Sie das Thema. Das verspricht beiderseits keinen Erkenntnisgewinn.
Deshalb werde ich mich jetzt als guter Christ an Jesus halten.
SM: Inwiefern?
AM: Er sagte: "Gebt heilige Dinge nicht den Hunden zum Fraß! Und werft Eure
Perlen nicht den Schweinen hin! Denn die trampeln doch nur darauf herum, und
dann wenden sie sich gegen Euch und fallen Euch an." Sie können gern
wiederkommen. Aber für heute: Tschüß.
16.07.2004
Torsten Reichelt
Zur Hauptseite Zur Textübersicht