Lebendiger Sozialismus - Kuba
Der Sozialismus ist tot! Der Sozialismus ist tot? Mitnichten! Ein Reisebericht
aus Kuba belegt Erfolg und Lebendigkeit.
Auch wenn Einiges darin Unverständnis für Notwendigkeiten des
sozialistischen Aufbaus zeigt, wie die geheimdienstliche Tätigkeit zur
Aufdeckung konterrevolutionärer Tätigkeit, ist der Bericht doch ein Loblied auf
den sozialen Charakter einer der derzeit wenigen sozialistischen Demokratien,
die zudem
vor der Haustür des imperialistischen Machtzentrums USA gedeiht.
Gerade in den letzten Tagen (Mai 2004) beweist ausgerechnet dieser aggressivste
und reaktionärste Imperialismus die Lebendigkeit des kubanischen Sozialismus -
wie auch die nackte Angst vor ihm und den wütenden Haß gegen ihn. Durch
Benachteiligung mittels einer Verstärkung des ökonomischen und politischen
Würgegriffs, Unterstützung konterrevolutionärer Kräfte und Verbreitung
antikommunistischer Propaganda sollen die Vorzüge des Sozialismus aufgewogen
werden.
Der Reisebericht ist wertvoller als Veröffentlichungen in kubanischen oder
kapitalistischen
Medien, die (beide) immer von Klasseninteressen und politischen Absichten
geprägt sein müssen.
Die Veröffentlichung erfolgt unverändert mit Genehmigung des
Autors.
Kurzer Kuba-Reisebericht
Vom 7. Bis 21. April war ich zum insg. neunten mal in Kuba, das erste mal im
März 1997. Meine Frau ist Kubanerin und ich spreche fließend spanisch seit über
10 Jahren. Hier meine persönlichen Eindrücke aus all den Reisen und meine
Meinung zu Kuba:
1.Daß die Meinungsfreiheit in Kuba von staatlicher Seite deutlich beschnitten
wird ist eine Tatsache. Die sog. "CDR" ("Comités para la defensa de la
revolución", also "Komitées zur Verteidigung der Revolution") sind in den
verschiedenen Stadtteilen organisierte Spitzeldienste, für die ich wenig
Sympathien habe. Auch der Internet-Zugang ist reglementiert und das staatliche
Fernsehen einseitig.
2.Gut am kubanischen Fernsehen finde ich andererseits erstens, daß es keine
Werbung gibt, wie auch das gesamte Stadt- und Straßenbild in Santiago de Cuba
(der zweitgrößten Stadt in Kuba, wo die Familie meiner Frau lebt) und allen
anderen Städten (einschl. Havanna) wohltuend von Werbung freigehalten wurde.
Zweitens gibt es viele gute Bildungsprogramme auf Kuba (auf einem eigenen
Sender), die auch von den Kubanern genutzt werden soweit ich das sehe.
3.Die Löhne sind in Kuba äußerst gering, die meisten Löhne werden im nationalen
Peso Cubano ausbezahlt. Allerdings sind Mieten äußerst niedrig, Strom auch, und
die Gesundheitsversorgung und Schule/Uni sind umsonst. Die staatlichen
Schuluniformen für die Kinder sind auch umsonst (und sehen nicht schlecht aus).
Hier, im sozialen Bereich, liegt die große Stärke des Systems, ich habe das
erst jüngst mitbekommen als eine Nichte meiner Frau, die erst 5 Jahre alt ist,
eine Art leichten Gehirnschlag mit Lähmungserscheinungen erlitt und nun in
einer Spezialklinik in Havanna kostenlos (!!!) betreut und therapiert wird. Dem
Kind geht es übrigens schon deutlich besser, ich konnte die Kleine aber leider
nicht besuchen, weil ich dieses mal nur in Santiago war.
4.Die Versorgung mit Medikamenten beschränkt sich in Kuba auf das wichtigste,
eine Palette wie bei uns gibt es nicht annähernd. 1997 habe ich eine
Dialyse-Station des Klinikums in Santiago besucht und war erstaunt über deren
gute Gerätschaften. Viele Ärzte in Kuba arbeiten mit Akupunktur (so ein Bruder
meiner Frau), Naturheilverfahren oder Homöopathie. Die Ärzte machen auch
zahlreiche Hausbesuche und nehmen sich dabei viel Zeit. Den meisten Ärzten
steht aber wenig technisch hochwertiges Material zur Verfügung (deshalb wollte
ich dem Bruder meiner Frau eigentlich einen Laptop mitbringen). Zahnärzte haben
eher minderwertigen Zahnersatz, das ist zwar auch umsonst, kann aber auch nicht
mit hier verglichen werden. In ganz Lateinamerika sind viele tausend kubanische
Ärzte unterwegs und retten Leben (ebenfalls ganz unentgeltlich), hunderte
Kinder aus Tschernobyl werden ebenfalls kostenlos in Spezialkiniken behandelt.
Derzeit bemühen sich kubanische Ärzte und andere Facharbeiter um den Aufbau
eines flächendeckend versorgenden Gesundheits- und Bildungswesens in Venezuela.
Die Qualität des Trinkwassers wird ständig kontrolliert und Wassertanks werden
von staatlichen Kontrolleuren rigoros auf Larven einer gefährlichen Stechmücke
untersucht, um Epidemien vorzubeugen (ich habe mich mit so einem Kontrolleur
mal länger unterhalten).
5.Soziale Programme gibt es recht viele in Kuba, die Frau meines Schwagers z.B.
lernt gerade einen Beruf im "zweiten Bildungsweg", der hier in etwa einer
"biologisch-technischen Assistentin" entspricht und wird während dieser Zeit
vom Staat unterstützt (allerdings darf sie nicht fehlen in der Berufsschule und
muß Leistungsnachweise erbringen). Im Rahmen des selben Programmes wird allen
interessierten Jugendlichen (das betrifft vor allem solche, die bisher nichts
richtiges gefunden haben und in die Kriminalität abzurutschen drohen) das selbe
Angebot gemacht: Zeigst du uns, daß du was lernen und arbeiten willst, dann
unterstützen wir dich und geben dir eine Perspektive. Zweifellos ein für
Lateinamerika absolut einmaliger Service.
6.Man merkt die Probleme mit der Dollarisierung eines Teiles der Wirtschaft den
Kubanern deutlich an. Es herrscht ein deutliches Gefälle zwischen denen, die
"den Feind in der Tasche haben" (wie die Kubaner manchmal sagen) und denen,
welche nur den Peso zur Verfügung haben. Mit dem Peso gibt es eben außer den
lebensnotwendigen Dingen und etwas mehr nichts. Der Zugang zum besseren Leben
findet über den Dollar statt. Man sieht auch immer wieder ältere Menschen in
schlechter Kleidung, die sehr arm sind, denn eine Frau z.B., welche im Alter
alleine ist und die nie gearbeitet (also auch nie direkt in die Rentenkasse
eingezahlt) hat, bekommt schon eine karge Rente. Da ändert auch die "Libretta"
(über die Lebensmittel billiger in staatlichen Läden bezogen werden können)
nichts dran, zumal sie z.B. Glühbirnen, die nun mal ziemlich teuer aber nach
Sonnenuntergang halt sehr nützlich sind, nicht beinhaltet. Wer da keine
helfende Familie hat, dem geht es dann nicht sehr gut.
7.Für die Kinder wird sehr viel getan in Kuba, man sieht keine
heruntergekommene Kinder (mit kaputten Zähnen z.B.) wie in Brasilien oder Peru,
und bis zum siebten Lebensjahr gibt es staatliche Hilfen wie tägliche
Milchrationen gratis. Von Straßenkindern habe ich ebenfalls auch noch nichts
gesehen oder gehört. Die Schulen sind qualitativ gut und absolut
flächendeckend, auch auf dem Land. Deshalb gibt es praktisch keine Analphabeten
in Kuba und der Wissensstand ist erstaunlich. Ich unterhalte mich oft mit
Nachbarn der Eltern meiner Frau und egal was die Leute arbeiten, sie haben
durchweg sehr gute Geschichtskenntnisse (fragt doch mal hier 20 beliebige Leute
auf der Straße zu Deutschland im 19. Jahrhundert oder wann Gothe lebte oder
Deutschland gegründet wurde).
8.Die Arbeitsmoral der Kubaner ist natürlich eine andere als die hierzulande.
Man kommuniziert viel während der Arbeit, ist (natürlich auch angesichts der
Temperaturen) langsamer und oft sind einige zuviel da (z.B. vier Kellner in
einem Mini-Restaurant, wo ich war). Erfindungsreich sind die Kubaner
allerdings, sonst würden sie nicht die uralten US-Autos bis heute fahrtüchtig
halten.
Als vorteilhaft haben sich für die Kubaner auch die gemischten Betriebe
("empresas mixtas") erwiesen, denn so kam ausländisches Kapital ins Land, wurde
aber vertraglich längerfristig gebunden (Minimum 5 Jahre, um nicht wie Mexiko
1994/95 durch den Abzug "heißen Kapitals" zu kollabieren) und in kooperative
Strukturen mit dem kubanischen Staat gebracht (kein e.m. kann zu mehr als 50%
dem ausländischen Investor gehören). Für die Unternehmen hat dies ebenfalls den
Vorteil hoher Stabilität und langfristiger Sicherheiten (ich habe 1997 mit
einer Studiengruppe mehrere gemischte Betriebe besucht und mit Investoren
geredet).
9.Politische Veranstaltungen sind eher steif in Kuba, kann aber auch nicht
wundern angesichts der Parteiendiktatur. Viele der "Massenorganisationen" wie
der Studentenverband FEU ("federación de los estudiantes universitarios") oder
der kommunistische Jugendverband UJC ("unión de los jovenes comunistas") sind
eher freiwillige aber lästige "Pflichten" für die Kubaner wie mir scheint. Der
Spielraum für offene Diskussionen ist halt zu eingeschränkt. Hier sehe ich auch
den größten Fehler im System. Karl Popper hat sinngemäß mal gesagt, jede
Gesellschaft muß zur Problemlösung einen größtmöglichen Pool an Ideen
bereitstellen und zulassen, um bestmögliche Alternativen für die Zukunft zu
haben. Ich denke, hier hatte er vollkommen recht, und hier liegt auch ein
vernünftiger Grund für Strukturen offener Diskurse und freier Meinungsbildung.
Eine Gesellschaft, welche ihre Alternativen durch Repression künstlich klein
hält, vergrößert ihre Probleme auf die Dauer. Auch Sozialismus kann ohne
Demokratie nicht funktionieren, er muß im Gegenteil sogar das demokratischere
Gegenmodell zum Kapitalismus sein, da letzterer als System der
Klassenherrschaft offene Diskurse verzerrt und demokratische Strukturen im Zuge
seiner "Sachzwänge" ins Leere laufen läßt (das führt dann zu
"Politikverdrossenheit").
10.Das "Modell Kuba" im Ganzen zu beurteilen maße ich mir nicht an. Ich rechne
Fidel Castro aber hoch an, daß er vielleicht der einzige Politiker der Welt
ist, der konsequent den täglichen Mord durch Hunger und mangelnde medizinische
Versorgung an tausenden Menschen, den jährlichen Mord an Millionen anklagt und
die herrschende Weltordnung offen und schonungslos kritisiert. Ihre Geschichte
kennen die Völker der "Dritten Welt" von der Conquista, dem Sklavenhandel und
dem Kolonialismus bis heute und ihre "offenen Adern" (Eduardo Galeano) bluten
bis heute. In Kuba kann der Widerspruch zwischen dem Willen zu Selbstbestimmung
und Befreiung einerseits und dem Scheitern großer Hoffnungen und der ständigen
Angst vor dem übermächtigen imperialistischen Feind (der nahezu paranoid machen
kann) nachempfunden werden. Solange Kuba aber furchtlos das Wort für die
"Verdammten dieser Erde" erhebt und eine bessere Welt jenseits des
eindimensionalen Wahns der neoliberalen Ideologen des Todes einfordert, kann
ich nicht anders als hier den Keim des Besseren zu sehen. Meine Kritik an Kuba
kommt von links.
Van Moorrison
bereitgestellt am 07.05.2004
Torsten ReicheltZur Hauptseite Zur Textübersicht