Lob der Beliebigkeit
Wie erklärt man Leuten den Kommunismus und macht ihn ihnen schmackhaft?
Ein bekannter Versuch stammt von Bertolt Brecht:
Lob des Kommunismus
Er ist vernünftig, jeder versteht ihn. Er ist leicht.
Du bist doch kein Ausbeuter, du kannst ihn begreifen.
Er ist gut für dich, erkundige dich nach ihm.
Die Dummköpfe nennen ihn dumm, und die Schmutzigen nennen ihn schmutzig.
Er ist gegen den Schmutz und gegen die Dummheit.
Die Ausbeuter nennen ihn ein Verbrechen.
Aber wir wissen:
Er ist das Ende der Verbrechen.
Er ist keine Tollheit, sondern
Das Ende der Tollheit.
Er ist nicht das Chaos
Sondern die Ordnung.
Er ist das Einfache
Das schwer zu machen ist.
Natürlich sind die Aussagen richtig. Allerdings nur, wenn man den
Kommunismus bereits kennt und Kommunist ist. Kennt dagegen Jemand den
Kommunismus nicht, kann er dem Text nicht das Geringste entnehmen, was denn so
toll am Kommunismus sein soll und vor Allem warum.
Eine böswillige Unterstellung? Nein, denn ich kann sie sehr einfach
belegen, nämlich durch Veränderung weniger Worte. Man kann mit diesem
Text alles Mögliche loben, ohne den geringsten Anhaltspunkt des Inhaltes
dessen, das man lobt. Hier ein Beispiel:
Lob der sozialen Marktwirtschaft
Sie ist vernünftig, jeder versteht sie. Sie ist leicht.
Du bist doch kein Prolet, du kannst sie begreifen.
Sie ist gut für dich, erkundige dich nach ihr.
Die Dummköpfe nennen sie dumm, und die Schmutzigen nennen sie schmutzig.
Sie ist gegen den Schmutz und gegen die Dummheit.
Die Proleten nennen sie ein Verbrechen.
Aber wir wissen:
Sie ist das Ende der Verbrechen.
Sie ist keine Tollheit, sondern
Das Ende der Tollheit.
Sie ist nicht das Chaos
Sondern die Ordnung.
Sie ist das Einfache
Das schwer zu machen ist.
Aber das ist noch harmlos. Wie wärs damit? Ich betone, daß der
Inhalt des folgenden Textes falsch ist und nur der Untermauerung der
Inhaltslosigkeit des Brechtschen Textes dient:
Lob des Nationalsozialismus
Er ist vernünftig, jeder versteht ihn. Er ist leicht.
Du bist doch kein Volksschädling, du kannst ihn begreifen.
Er ist gut für dich, erkundige dich nach ihm.
Die Dummköpfe nennen ihn dumm, und die Schmutzigen nennen ihn schmutzig.
Er ist gegen den Schmutz und gegen die Dummheit.
Die Volksschädlinge nennen ihn ein Verbrechen.
Aber wir wissen:
Er ist das Ende der Verbrechen.
Er ist keine Tollheit, sondern
Das Ende der Tollheit.
Er ist nicht das Chaos
Sondern die Ordnung.
Er ist das Einfache
Das schwer zu machen ist.
Ich gebe zu, daß der letzte Text Bertolt Brecht in ein schlechtes Licht
rückt. Das ist keinesfalls beabsichtigt. Natürlich wollte er den
Kommunismus loben und Andere dazu bringen, sich mit ihm zu beschäftigen.
Aber so?
Ich kann mich erinnern, wie ich den Text empfand, als ich noch kein Kommunist
war: überzogen und kein bißchen überzeugend. Als ich Kommunist
war, fand ich ihn gut.
Aber uns Kommunisten geht es ja nicht darum, uns selbst zu beweihräuchern,
sondern die Massen zu gewinnen und zu führen. Und das geht ganz bestimmt
nicht mit solchen beliebigen Texten.
29.03.2005
Torsten Reichelt
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