Morddrohungen
Hans-Jürgen: Wir erleben hier auf der Straße immer wieder das Gleiche, und wie Du erzählt
hast, auch im Internet: wir streben den physischen und psychischen Schaden
unserer Feinde nicht an. Aber wir selbst sind ständig Forderungen nach
"verprügeln", "erschlagen", "aufhängen" und erst jüngst sogar "kreuzigen"
ausgesetzt. "Einsperren" ist da schon die harmlose Normalität.
Torsten: Dabei widerspricht das den Artikeln 2, 5 und anderen des Grundgesetzes der
BRD. Ich darf kurz vorlesen? (Artikel 2 und 5). Die Drohungen sind also samt
und sonders verfassungsfeindlich. Der Rechtsstaat müßte uns davor beschützen.
Hans-Jürgen: Aber ja doch, insbesondere der Verfassungsschutz! Zum Glück kenne ich Dich,
sonst könnte ich fast glauben, Du meinst das ernst. Ich bin ja auf der Straße
manchen Kummer gewöhnt. Ich weiß nicht, was schlimmer ist: die Morddrohungen
oder die mehrheitliche Unwissenheit und Blauäugigkeit.
Torsten: Natürlich die Unwissenheit. Ohne die kämen solche Drohungen gar nicht erst
vor. Aber warum sprichst Du sie an? Die sind ja weder neu, noch sonderlich
ernstzunehmen. Oder glaubst Du, daß das irgendwann jemand wahrmacht?
Hans-Jürgen: Das meine ich nicht, sondern genau das, was Du schon gesagt hast: Diese
Drohungen sind deshalb so bedeutsam, weil sie Unwissen entspringen. Und
schlimmer noch: Sie sind auch Ausdruck des Unwillens zu zweifeln, zu denken und
zu lernen. Erst das ist der Grund, warum Manche als einzige Alternative zu
unseren Worten unseren Tod kennen. Ihnen ist aus Erfahrung oder instinktiv
klar, daß sie in einer Diskussion den Kürzeren ziehen. Sie scheuen die
Erkenntnis und hätten gern, daß die mahnenden Stimmen aufhören.
Torsten: Also so ähnlich wie die virtuellen Stimmen bei einer Schizophrenie. Aber das
ist keine Schizophrenie. Die mahnenden Stimmen sind ganz real unsere, und wir
reden von der ganz realen häßlichen Welt des Kapitalismus. Und der ebenso
realen, wenn auch zukünftigen Welt des Kommunismus. Was willst Du aber von
Menschen verlangen, die
noch nicht einmal ihre unmittelbare jetzige Umwelt erkennen? Für die ist der
Kommunismus so unreal wie die Landungen auf der Venus in 70er-Jahre-Filmen.
Hans-Jürgen: Das hatten wir vor etwa 70 Jahren schonmal.
Torsten: Was meinst Du?
Hans-Jürgen: Auch damals wollten Viele die Stimmen nicht hören, die mahnenden Stimmen aus
den Reihen der Kommunisten, Christen und Juden, der aufrechten Sozialdemokraten
und Humanisten. Und gegenseitig hörten diese sich auch nicht zu. Dafür bekamen
die Mahner und viele Andere dann die gemeinsame Quittung: daß sie nämlich Seite
an
Seite in faschistischen Konzentrationslagern und an den Fronten des Zweiten
Weltkrieges starben. DAS sehe ich als die Gefahr in den Drohungen.
Torsten: Jetzt habe ich Dich verstanden. Sie hatten den gemeinsamen Feind, die
Bourgeoisie, nicht wahrgenommen und die Gefahr nicht erkannt. Sie führten
kleinliche Grabenkämpfe und fanden nicht zusammen. Und sie verplemperten ihre
Kraft in oberflächlichen Auseinandersetzungen mit Nazis. Die Bourgeoisie
errichtete den Faschismus, dabei bediente sie sich nur der Nazis. Weshalb unser
wirkliches Problem nicht die Marionetten sind, die uns drohen, sondern die
Puppenspieler, die an den Fäden ziehen. Obwohl ich die Gefährlichkeit der
Marionetten natürlich kenne, die auch vor 70 Jahren der Kontrolle ihrer
Puppenspieler entglitten.
Ich habe mich schon manchmal gefragt: War und ist der Widerstand gegen die
Nazis falsch? Mein bisheriges Ergebnis: Er ist richtig, aber in angemessener
Form, er darf nicht in den Vordergrund treten und vor Allem nicht den
Klassenfeind vergessen lassen. Ich erinnere mich an eine Erzählung, die ich als
Kind mal über einen Verwandten oder Bekannten der Familie aus dieser Zeit
gehört habe. Eines Tages sagte er zu seiner Frau: "Mudda, bring mir ma mei
Koppel, wir gehn Nazis verschlahn!".
Hans-Jürgen: Das klingt nicht gerade nach einem klassenbewußten Proletarier. Und es
erinnert mich an die linken Krakeeler auf den Dresdner Montagsdemos. Die
standen den zugegeben disziplinierten Nazis gegenüber. Man sieht sie bei allen
Nazi-Aufmärschen. Bei diesen Krakeelern bin ich ziemlich sicher, daß sie von
Provokateuren angeheizt werden. So kann die Polizei ganz offiziell
Schutzmaßnahmen für die Nazis treffen. Aber wir kommen langsam vom
Ausgangspunkt ab: den Morddrohungen.
Torsten: So weit sind wir gar nicht abgekommen. Du weißt ja, daß ich auch
Internet-Foren zur Agitation nutze und kürzlich jemand für mich sogar die
Kreuzigung in Betracht zog. Am 14. Mai 2004! Interessant ist, daß von den
deutschen Faschisten 1933-45 auch archaische Hinrichtungsmethoden
einschließlich Kreuzigungen wiederentdeckt und neu belebt wurden. Moderne
Technik, archaische Inhalte. Für mich bedeutet das, daß trotz technischer
Fortschritte die moralische und ethische Entwicklung des Menschen noch in den
Kinderschuhen steckt.
Hans-Jürgen: Das kann auch nicht anders sein, da die großartigen
wissenschaftlich-technischen Fortschritte überwiegend in Klassengesellschaften
gemacht wurden. Und deren herrschende Klassen, die auch die herrschende Moral
und Ethik bestimmen, waren aggressive egoistische Klassen. Die paar Jahrzehnte
Sozialismus fallen da zeitlich und wissenschaftlich-technisch kaum ins Gewicht
- wohl aber moralisch. Aber Du kennst ja selbst noch die ethischen und
moralischen Unterschiede zum jetzigen Kapitalismus.
Torsten: Leider war mir das nicht bewußt. Du weißt ja auch, daß ich nicht durch die
Bildung, Erziehung und Erfahrung des Sozialismus in der DDR zum Kommunisten
wurde, sondern aus anderen Überlegungen und Erkenntnissen, nachdem ich auch
durch eigene Mitschuld den Kapitalismus kennenlernte. Aus diesen Erkenntnissen
ergibt sich auch, daß nicht nur der Kommunismus objektiv notwendig und
folgerichtig errichtet wird, sondern daß sich seine Inhalte einer natürlichen
Vorgabe nähern, die sich aus unveränderlichen objektiven Gesetzmäßigkeiten
ergibt. Und dazu gehört auch eine bestimmte kommunistische Moral und Ethik.
Papst Johannes Paul II, der sonst im Wesentlichen ein Götzendiener ist,
bezeichnet das treffend als "natürliche Moral". Diese bestimmte die
Menschheitsentwicklung bis zur Entstehung der Klassengesellschaften. In denen
wird sie immer stärker verletzt und erst in und mit der klassenlosen
notwendigerweise wiederhergestellt. Nur nicht als natürliche, sondern als
bewußte Moral.
Hans-Jürgen: Ich weiß, Du nimmst mir das nicht übel: manchmal hörst Du Dich an wie ein
religiöser oder esoterischer Spinner. Aber man gewöhnt sich dran. Immerhin sind
Deine Schlußfolgerungen richtig. Nur, was hat das jetzt noch mit den
Morddrohungen zu tun?
Torsten: Ganz einfach: Uns als Kommunisten wird vorgeworfen, Gewalt anzuwenden, anstatt
uns umbringen zu lassen. Diejenigen, die Märtyrer umbringen, fordern unser
Märtyrertum. Das ist Ausdruck dieser widernatürlichen Moral: Einerseits wird
primäre Gewaltanwendung propagiert und praktiziert, aber andererseits sollen
wir gewaltfrei und selbstaufopfernd handeln, um uns nach derselben Moral als
gute Menschen zu erweisen. Anwendung von Gewalt wird uns ausgerechnet von denen
zum Vorwurf gemacht, die sie gegen uns anwenden oder die Gewaltanwendung gegen
uns fordern.
Dadurch ist die Unterscheidung zwischen uns und unseren Feinden einfach: Wir
rechtfertigen Notwehr - aber verneinen Gewalt als "vorbeugende Maßnahme". Die
Bourgeoisie und deren Lakaien rechtfertigen dagegen "Präventivschläge", also
primäre Gewaltanwendung unter dem VORWAND der Bedrohung. Genau das beinhalten
die Morddrohungen im Angesicht unserer Aufklärungsarbeit.
Hans-Jürgen: Ja, darin wird die Unwissenheit und moralische Verkommenheit von
Antikommunisten
deutlich. Die Morddrohungen bestätigen unsere geistige und moralische
Überlegenheit. Ich danke den Antikommunisten für diese fortwährende
Bestätigung der Richtigkeit und Notwendigkeit, den Kapitalismus zu beseitigen.
Der bringt sie als potentielle, praktizierende und
Möchtegern-Mörder hervor. Würde ich je zweifeln, müßte ich ja nur auf die
Straße gehen, um jeden Zweifel auszuräumen.
Torsten: Ja, unsere Feinde offenbaren sich selbst, ihre menschenverachtende
Moral und Gottlosigkeit.
22.05.2004
Torsten ReicheltZur Hauptseite Zur Textübersicht