Neoliberaler Unsinn
Wenn Kapitalistenmedien neue Begriffe prägen und unaufhörlich verkünden, ist
höchste Wachsamkeit geboten. Allzuoft dienen sie nur dazu, Tatsächliches zu
verschleiern und zu verfälschen. So wie durch den Begriff "Neoliberalismus".
Durch ihn wird eine neue Phase des Kapitalismus vorgetäuscht, welche natürlich
auch neue Analysen der Bedingungen, Strategie und Taktik der Klassenkämpfe
erforderte. Nur: zieht man dem neuen Schreckgespenst das frisch gestärkte Laken
vom Kopf, kommt darunter nichts Anderes zum Vorschein, als der alte faulende
und sterbende Kapitalismus: der Imperialismus.
Welche Neoeigenschaften soll der Neoliberalismus haben, folgt man seinen
Verfechtern? Glücklicherweise gibt's da Mutige, welche die zumindest mal
formulierten, wie Georg Fülberth, der sie im Artikel "Akkumulation und
Geschichte" in der Zeitung "junge Welt" vom 27.03.2006 als "Hauptmerkmale" nennt:
- Die dritte Industrielle Revolution: Durchsetzung der
Informationstechnologie in Produktion und Kommunikation,
- Ende der Systemauseinandersetzung mit dem sowjetischen Sozialismus seit
1989. Damit hat der Kapitalismus, wie bereits vor 1917, keine politisch
gesetzte territoriale Grenze mehr,
- Schwächung der Investitions- und Regulierungstätigkeit der öffentlichen
Hände (Staat, Gemeinden und gesetzlich definierte soziale Sicherungssysteme),
- gesteigerte Bedeutung der internationalen Finanzmärkte: der Kapitalismus
wird zum finanzmarktgetriebenen Kapitalismus,
- Internationalisierung der Produktion,
- Ausweitung der transnationalen Investitionen,
- Ausdehnung und Beschleunigung des internationalen Warenverkehrs.
Hier genügen zwei kurze grundlegende Schriften des Marxismus-Leninismus und ein
wenig Verstand, um all diese Neoeigenschaften als durchaus nicht neo zu
entlarven: das „Manifest der Kommunistischen Partei" von Marx und Engels und
Lenins „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus".
Zu 1.: Die Einführung der Informationstechnologie brachte zwar erhebliche
Steigerungen der Arbeitsproduktivität, aber das ist nicht neo. Die
Elektrifizierung tat ein Gleiches. Die Steigerung der Arbeitsproduktivität, sei
sie quantitativ noch so groß, erfaßt eben die gesamte Produktion, stellt also
keine qualitative Veränderung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse dar.
Deshalb blieb sie bei Lenins Imperialismusanalyse auch unberücksichtigt. Sie
ist neo, aber unwesentlich.
Zu 2.: Nun, hier stellt der Autor schon selbst fest, daß dieser Zustand auch
vor 1917 herrschte, widerlegt also selbst, daß da was neo ist.
Zu 3.: Die Regulierung der "öffentlichen Hände" (wat'n dat'n?) ist nichts
Anderes als ein Ergebnis der Arbeiterbewegung, insbesondere der Notwendigkeit
sozialer Zugeständnisse angesichts der Existenz eines bedeutenden
sozialistischen Gegenüber. Die Sozialdemontage, also das Abschaffen dieser
Regulierung, ist nichts Anderes als ein Zurückfallen in die alten Zustände vor
der Existenz einer starken Arbeiterbewegung und der mächtigen sozialistischen
Alternative. Neo?
Zu 4. und 6.: Die zunehmende Bedeutung „der Finanzmärkte" und die Ausweitung
transnationaler Investitionen, also der Aktivitäten des Finanzkapitals, kannte
Lenin auch schon. Er beschrieb die Verschmelzung von Bank- u. Industriekapital
zum Finanzkapital und somit die Entstehung der Finanzoligarchie wie auch die
gegenüber dem Warenexport dominierende Rolle des Kapitalexports. Neo?
Zu 5. und 7.: Die "Internationalisierung der Produktion" und "Ausdehnung und
Beschleunigung des internationalen Warenverkehrs" kannten Marx und Engels
schon: "Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die
Produktion und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum
großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den
Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und
werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien,
deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch
Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten
Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande
selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden."
Also Pustekuchen mit Neo. Der vielbeschworene "Neoliberalismus" ist nichts
Anderes als altbekannter stinknormaler Kapitalismus in seiner imperialistischen
Phase.
Torsten Reichelt
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