Philosophie ist Politik


Ist Handeln Politik? Ich möchte einen Aspekt dieser Frage betrachten: ob Philosophie bzw. das Philosophieren Politik ist.

Dazu muß erst einmal der Begriff Politik geklärt werden. Hierzu "Wilhelm Liebknechts Volksfremdwörterbuch", Ausgabe von 1953:

„Politik, f., gesellschaftl. Tätigkeit, die auf die Verteidigung d. Klasseninteressen, auf die Eroberung, Erhaltung und Festigung d. Staatsmacht e. Klasse od. auf die Schaffung günstiger Voraussetzungen f. ihren Kampf um d. Staatsmacht gerichtet ist; der "konzentrierteste Ausdruck d. Ökonomik und ihre Verallgemeinerung u. Vollendung" [Resolution d. IX. Parteitags d. KPR(B)]; eine bestimmte Richtung u. d. Methoden der polit. Parteien u.d. Staatsmacht im Innern d. Landes u. bei d. Beziehungen zu anderen Staaten"

Das bürgerliche "Langenscheidts Fremdwörterbuch" (http://www.langenscheidt.de/fremdwb/fremdwb.html) läßt selbstverständlich den Klassenbezug weg:

„Po·li'tik, die; -, keine Mehrzahl 1.Gesamtheit der Tätigkeiten und Vorgehensweisen zur Durchsetzung von Zielen im staatlichen Bereich und zur Führung eines Staates 2. zielgerichtetes Handeln, das in einem größeren Zusammenhang steht 3. berechnendes, taktierendes Verhalten, das Absichten nicht zu erkennen gibt"

Immerhin wird übereinstimmend klar, daß Politik etwas mit Tätigkeit, Handeln und Verhalten zur Erreichung bestimmter Absichten zu tun hat.

Die Meisten kennen wohl Karl Marx' These zu Feuerbach:

„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern."

Somit ist erst einmal festzustellen, daß kommunistische Philosophen (oft fehlerhaft auf "marxistische" reduziert) tätig sind, um die Gesellschaft mit bestimmten Absichten - letztlich der Errichtung des Kommunismus - zu beeinflussen. Also kurz gesagt Politiker sind.

Bedeutet das, daß nichtkommunistische Philosophen keine Politik betreiben? Das ist klar zu verneinen. Schon Konfuzius - zu seiner Zeit zwar unbedeutend - beeinflußte ganz erheblich die Verhaltensmuster sowohl von späteren Herrschern als auch deren Opponenten in politischen Auseinandersetzungen. Er selbst äußerte sich auch schon vielfach zu Themen, die selbst bei oberflächlichster Betrachtung politische sind.

Bei Sokrates wird der politische Aspekt noch deutlicher, brachte ihm doch sein auf seiner Philosophie beruhendes Handeln den berühmten Giftbecher ein. Auch bei anderen nichtkommunistischen Philosophen wird ihr politisches Wirken vielfältig sichtbar.

Was aber ist mit Philosophen, welche - zumindest auf den ersten Blick - unpolitisch sind?

Ich möchte Euch eine Frage stellen: Kennt Ihr einen? Ich kenne keinen, der nie Stellung zu einer politischen Frage bezog und auch nie durch die Aufforderung, keinen Einfluß auf die Politik zu nehmen, politische Kräfte unterstützte, indem er potentielle loyale oder oppositionelle Kräfte von der Einflußnahme auf die Politik abhielt? Alle Philosophie und alle Philosophen, die ich kenne, sind somit politisch wirksam.

Die verbleibende Frage ist nur, ob sie sich dessen bewußt sind. Beinhalten die Politik-Definitionen nicht auch bestimmte Absichten? Natürlich, aber das sagt nicht, daß sich der Philosoph seiner Absichten und Wirkung bewußt sein muß. Auch, wenn er unbewußt fremde Absichten bedient, unterstützt er immer noch politische Absichten - und betreibt somit Politik.

Sinngemäß läßt sich das Gesagte auf jegliches menschliche Handeln anwenden. Handeln ist Politik. Wer glaubt, nicht zu handeln, handelt nur nicht bewußt und unterstützt die zu diesem Zeitpunkt Mächtigen.

Übrigens ist diese Erkenntnis alles Andere als neu. Schon spätestens Jesus (Lukas 11,23):

„23Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut."


28.08.2005

Torsten Reichelt

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