Ruinen

Drei meiner Reisen in den vergangenen zwei Jahren führten mich nach Irland, Zypern und Griechenland. Was sich dort ähnelte, waren die Bilder aufgrund der Weltwirtschaftskrise. Die jetzige Weltwirtschaftskrise (von der nur Politiker verkünden und Dummköpfe glauben, sie sei vorüber) zeigte und zeigt sich nicht nur in den USA mit dem Schwerpunkt Immobilienmarkt. Denn zuerst wurden in vielen Staaten gigantische hochspekulative Investitionen in Immobilien getätigt und dann platzten massenhaft Kredite, welche für den Bau und die Anschaffung dieser Immobilien aufgenommen worden waren.

Die Gründe sind vielfältig: Ob nun der arbeitslos Gewordene seine Zinsen für Bau oder Kauf seines Häuschens nicht mehr bezahlen konnte, Bauspekulanten feststellten, daß inzwischen so viele ihrer Sorte so viel Wohnraum auf eine Insel gestellt hatten, daß dafür gar nicht genügend Bewohner da sind oder Tourismusunternehmen entdeckten, daß Ferntourismus ein teures Hobby ist und das Wachstum ihrer Kundschaft nicht ihren Wünschen folgt, schon gar nicht in der Krise, ob Rentner feststellten, daß sie sich aufgrund der Inflation und / oder Rentenkürzung mit ihrem Lebensabend im eigenen Heim unter südlicher Sonne gründlich übernommen hatten ... Die einzelnen Mechanismen sind sehr verschieden, laufen aber immer auf dasselbe hinaus: In den verschiedensten Gegenden der Welt stehen massenhaft Investruinen herum, die sich keiner mehr leisten kann.

Irland 2009
Irland 2009. Solche Häuserzeilen, an denen die Baumaßnahmen eingestellt sind und von denen nur ein Bruchteil bewohnt ist, stehen im ganzen Land.


Zypern 2009. Ein ähnliches Bild wie in Irland.


Griechenland, Rhodos 2010

Wer sich bißchen mit der politischen Ökonomie des Kapitalismus auskennt, weiß selbstverständlich, daß dies das ganz gewöhnliche Wesen seiner ökonomischen Krisen ist: Sie sind immer Überproduktionskrisen. Wer sich hingegen nicht damit auskennt (was leider auf die Mehrheit der geBILDeten BRD-Insassen wie auch auf ähnliche Verblödungspolitikopfer in anderen kapitalistischen Staaten zutrifft), wird mit einem verwirrenden Geplapper von „Finanzmarktkrise“, „Immobilienblasen“, „Schuldenklemme“ und ähnlichem Unsinn noch endgültig wuselig im Kopf gemacht.

So daß er auch nicht mitbekommt, für wie blöd er sonst noch so verkauft wird. Wie könnte er sonst glauben, Kürzungen in der Sozial-, Bildungs-, Kulturpolitik, bei Ökologie und in ähnlichen Bereichen, Kurzarbeit, Lohndumping und gleichzeitige Milliardengeschenke an Finanzkapitalisten (z.B. „Bankenretten“, jahrzehntelange Betriebserlaubnis für Kernkraftwerke aus der Steinzeit des Reaktorbaus, Verbuddeln von Bahnhöfen usw.) könnten die Krise beenden? Ganz im Gegenteil: Diese Maßnahmen können nur zu Einem führen: zum weiteren Entzug von Mitteln für die private und staatliche Konsumtion, was rückwirkend die Produktion abwürgt. Dadurch wird den Finanzkapitalisten zunehmend unmöglich, in produktiven Bereichen der Wirtschaft zu investieren. Kapital muß aber angewandt werden, sein Wesen erzwingt die Erzeugung von Profit. Und so bleibt den Kapitalisten nur das, was die erste Etappe der jetzigen Weltwirtschaftskrise zum Ausbruch brachte: es in immer waghalsigere Spekulationen zu stecken, denen zunehmend weniger reale Produktion gegenübersteht.

Irland ist ein gutes Beispiel dafür, daß die Kürzungsmaßnahmen zu nichts Anderem führen, als die Krise zu verschärfen. Als ich zuletzt in Irland war, hielt der Premierminister Brian „Tulips“ Cowen (tulips bezieht sich auf seine oft karikierten wulstigen Lippen) Anfang April 2009 eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede vor dem Parlament, in der er etwa zwei Stunden lang Schlag auf Schlag Kürzungspläne bekanntgab. Wozu sollten die führen? Natürlich zur Stabilisierung der Staatsfinanzen. Alle Iren, mit denen ich sprach, hatten für ihre Regierung nur Bezeichnungen wie Verbrecher, Räuber, Betrüger und ähnliche.

Zumal wenige Tage nach der Rede bekannt wurde, daß eben dieser Brian Cowen GEMEINSAM mit Mitgliedern der angeblichen Opposition zu einer Spekulantengruppe gehörte, die in England in Studentenwohnungen investiert hatte. Aufgrund der Krise hatten diese Spekulanten 112.000 € Zahlungsrückstände gegenüber dem „Developer“, also dem Bauherren. (Irish Independent vom 15.04.2009). Der Knaller war, daß kurz vorher beschlossen wurde, solche Auslandsspekulanten durch den irischen Staat zu entschulden (an Details erinnere ich mich nicht mehr).

Haben die Kürzungen den Staatshaushalt gerettet? Hat das Ganovenstück der Selbstbereicherung dem Premierminister geschadet? Mitnichten, denn das ist eben der Premierminister Brian Cowen, der gerade jetzt die Unterwerfung Irlands unter das Euroimperium, den IWF und die EZB vollzog und die nächste, noch verheerendere Kürzungsorgie feiert. Damit hat er zwar ausgespielt und kündigte vorgezogene Neuwahlen an, aber im Armenhaus endet der sicher nicht. Und die Wähler können sich ja diesmal gern für seine Spekulationskumpane von der „Opposition“ entscheiden.

So wird Irland nach knapp 90 Jahren Unabhängigkeit erneut kolonialisiert. Nun sollte man glauben, die als stur und aufsässig bekannten Iren machten einen Volksaufstand. Aber weit gefehlt. Die Proteste halten sich in sehr engem Rahmen. Mit wenigen 10.000 erreichen die Proteste nicht einmal die Stärke von Anfang 2009; da gingen immerhin noch bis zu 100.000 Iren auf die Straße. (Kleine Korrektur: Gerade an dem Tag, als ich das schrieb, demonstrierten auf Aufruf der Gewerkschaften in Dublin etwa 150.000 Leute gegen die Kürzungspläne der Regierung.)

Womit wir beim Widerstand gegen die Krise und ihre Verursacher wären. In den Beispielländern sah ich in Irland höchstens mal eine Jugendliche mit rotem Stern und Che auf der Umhängetasche. Auf Zypern entdeckte ich nur mal eine Aufschrift mit dem internationalen, aber nicht sehr klugen „ACAB“.



Der Zyprioten größtes Problem ist (zugegeben auch nicht unwichtig) die völkerrechtswidrige Annexion des Nordens durch die Türkei unter dem „Schutz“ der UNO und Briten. Das muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Ein Teil eines EU-Mitgliedsstaates der EU ist von einem Nicht-EU-Mitglied annektiert und die gleiche EU verhandelt mit den Okkupanten über einen EU-Beitritt!

Nur in Griechenland sah das anders aus. Nicht nur, daß viele Griechen stinksauer sind, einerseits gezwungen zu werden, für Milliarden Euro Waffen zu kaufen und sie die vereinigte EU-Journaille gleichzeitig als faul und gierig diffamiert, obwohl der Lebensstandard sowieso schon im europäischen Maßstab vergleichsweise gering und soziale Sicherungssysteme rudimentär sind. An konkreten Kampfmaßnahmen fand ein Flughafenstreik statt, von dem ein paar Hotelgäste betroffen waren. Beeindruckend war, wie präsent die KKE ist. Entlang großer Straßen fand ich immer wieder Schriftzüge, die zur Wahl der KKE aufrufen.



Am Besten gefiel mir eine Inschrift, die mich an verschiedene Gruselgeschichten erinnerte: die mit dem Blutfleck auf dem Boden oder einem blutigen Händeabdruck an der Wand, welche sich weder abwischen noch überstreichen lassen und immer wieder durchkommen. So wie dieser Text:



Ich ließ mir das vom Hotelpersonal übersetzen, woran mit Freude mehrere mitarbeiteten. Der Schriftzug lautet „Ungehorsam Undiszipliniertheit Gegenangriff“. Wobei mir persönlich das mit dem Gegenangriff besonders gefällt, weil die griechischen Genossen den auch tatsächlich aktiv umsetzen.

Unter dem Strich erfaßt die Weltwirtschaftskrise alle drei Inseln in ähnlicher Weise. Und sie hinterläßt auch ähnliche Spuren. Leider erzeugt sie noch keinen gleichartigen und schon gar nicht gemeinsamen Widerstand. Aber dennoch: Auf allen drei Inseln haben untergegangene Imperien aller Epochen ihre Ruinen hinterlassen (wenn auch die Griechen und Römer nicht in Irland). Das Euroimperium und der Imperialismus erzeugen ihre Ruinen schon zu Lebzeiten – sofern tollwütiges Dahinsiechen als Leben bezeichnet werden kann. Sogar die Ruinen sind im Vergleich zu vergangenen Epochen von beispielloser Häßlichkeit. Es wird Zeit, sich des Kadavers zu entledigen, denn mit jedem weiteren Tag seiner verbrecherischen Existenz vernichtet er noch mehr Leben und Kultur.
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Das Umdenken