Der Traum vom Grundeinkommen

Der Kapitalismus ist schön und das Leben darin erstrebenswert. Er hat nur ein paar Mängel, die aber ohne Weiteres zu beseitigen sind, wenn nur die Richtigen kommen und ein durchdachtes Konzept zur Beseitigung bestimmter Mißstände vorlegen.

Um einen dieser Mißstände - zunehmende Verarmung und Verelendung durch einen rasanten Sozialabbau - zu beseitigen, ist lediglich erforderlich, Jeder und Jedem ohne Bedürftigkeitsprüfung und Arbeitszwang ein Grundeinkommen von knapp 1000,- Euro zu gewähren. Das erlaubt auch gleichzeitig, weitere Fliegen mit derselben Klappe zu schlagen. Durch vermehrte Kaufkraft würde die Wirtschaft angekurbelt und zunehmenden Tendenzen des Lohndumping das Wasser abgegraben. Wer würde schon für einen Sklaventreiber arbeiten, wenn er für das gleiche (oder etwas weniger) Geld zuhause bleiben kann?

Die Finanzierung ist auch ganz einfach, aus Steuern und nur unwesentlich teurer als die bisherigen Leistungen für die Zielgruppen, welche dann leistungsfrei (=ohne Lohnarbeit) dieses Grundeinkommen erhalten.

Alternativ existieren mehrere ähnliche Modelle von Grundeinkommen (ohne Bedürftigkeitsprüfung) oder Grundsicherung (mit Bedürftigkeitsprüfung), von denen nur noch das beste herausgearbeitet werden muß, um diese segensreiche Regelung dann praktisch umzusetzen.

Eine Vision zeigt, wie es denn wäre, wenn die gesellschaftlichen Reichtümer der BRD gleichverteilt würden: 30 Wochenarbeitsstunden für alle Arbeitsfähigen, Monatsnetto 1800,- Euro zzgl. 300,- Euro Kapitalerträge verschiedener Art, wohnen in Wohneigentum mit niedrigen Betriebskosten, 78000,- Euro Kapitalanlagen und 150000,- Euro Geldvermögen (soweit ich die Fakten richtig behalten habe).

Wir brauchen eine neue Ethik, nicht das alte "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen", sondern die Freiheit, sein Grundeinkommen ohne Armutsgefahr auch ohne Arbeit zu erhalten.

Der Sozialstaat ist kaputt und muß wieder aufgebaut werden.

Zudem ist nur notwendig, die vorhandene Arbeit unter den Arbeitsfähigen aufzuteilen, um der Arbeitslosigkeit den Garaus zu machen.

Soweit die (etwas überspitzt dargestellten) Aussagen der drei Referenten Johannes Beisiegel (attac-AG "Genug für Alle", Kiel), Werner Schmiedecke (attac Dresden) und Ronald Blaschke (Netzwerk Grundeinkommen, Dresden) auf der Veranstaltung "Grundeinkommen" am 7.3.2005 im Haus an der Kreuzkirche in Dresden. Sie stellten das Ganze als sehr weit gediehenes Konzept vor, dem nur noch der letzte Schliff und die Umsetzung fehlt.

Solche Ideen sind nicht ganz neu. Marx und Engels setzten sich mit ihnen schon vor über 150 Jahren auseinander:

"2. Der konservative oder Bourgeoissozialismus

Ein Teil der Bourgeoisie wünscht den sozialen Mißständen abzuhelfen, um den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern.

Es gehören hierher: Ökonomisten, Philanthropen, Humanitäre, Verbesserer der Lage der arbeitenden Klassen, Wohltätigkeitsorganisierer, Abschaffer der Tierquälerei, Mäßigkeitsvereinsstifter, Winkelreformer der buntscheckigsten Art. Und auch zu ganzen Systemen ist dieser Bourgeoissozialismus ausgearbeitet worden.

Als Beispiel führen wir Proudhons »Philosophie dela misere« an.

Die sozialistischen Bourgeois wollen die Lebensbedingungen der modernen Gesellschaft ohne die notwendig daraus hervorgehenden Kämpfe und Gefahren. Sie wollen die bestehende Gesellschaft mit Abzug der sie revolutionierenden und sie auflösenden Elemente. Sie wollen die Bourgeoisie ohne das Proletariat. Die Bourgeoisie stellt sich die Welt, worin sie herrscht, natürlich als die beste Welt vor. Der Bourgeoissozialismus arbeitet diese tröstliche Vorstellung zu einem halben oder ganzen System aus."


[Marx/Engels: Manifest der kommunistischen Partei, S. 89. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 2661 (vgl. MEW Bd. 4, S. 488)]

Um aber nicht nur Marx und Engels zu wiederholen und der Phrasendrescherei beschuldigt zu werden, hier ein paar (von mir ähnlich auf der Veranstaltung geäußerte) Gegenargumente, warum in diesen ganzen Plänen Unwichtiges detailliert ausgearbeitet ist, aber Alles Wesentliche vernachlässigt wird.

1. Umverteilung der Arbeit
Die immer stärkere Ausbeutung von immer weniger Arbeitern erhöht den Profit. Die Kapitalisten werden niemals freiwillig mehr Arbeiter kürzer beschäftigen, da das den Grundsätzen kapitalistischer Ökonomie widerspricht - außer, man zwingt sie.

2. Vision der Gleichverteilung
Wie sollen (um mal alles Andere beiseite zu lassen) die Schmarotzer der Großbourgeoisie dazu gebracht werden, 30 Stunden pro Woche und überhaupt zu arbeiten, und das für 1800,- Euro netto pro Monat, wenn sie jetzt ohne Arbeit Millionen scheffeln? Das ist typisch "kommunistische Gleichmacherei" (welche Kommunisten niemals anstrebten noch anstreben; die Erfinder der Gleichmacherei sind bürgerliche Hetzer gegen den Kommunismus) und die Schmarotzer wehren sich gegen die Beendigung ihres Schmarotzertums üblicherweise, indem sie ihre Lakaien aktivieren und die Gleichmacher mit Gewalt zur Vernunft bringen lassen.

3. Neue Ethik
Von den Wenigsten kann Verständnis erwartet werden, daß sie arbeiten müssen, um zu essen, während Andere genausogut oder besser essen, ohne zu arbeiten. Mit Recht.

4. Der kaputte "Sozialstaat"
Der kapitalistische Staat ist niemals ein Sozialstaat, sondern alle Sozialleistungen wurden den Schmarotzern in harten opferreichen Kämpfen der Arbeiterbewegung abgerungen. Zur Zeit des großen sozialistischen Lagers saß bei Verhandlungen der Gewerkschaften mit den Kapitalisten in der BRD immer die DDR als unsichtbarer dritter Verhandlungspartner am Tisch. Jetzt ist nicht nur der Sozialismus weggefallen, sondern die Gewerkschaften sind durch jahrzehntelange leichte Erfolge zerrüttet und funktionsunfähig, wodurch die Kapitalisten die errungenen Sozialleistungen - mit Hilfe des kapitalistischen Staates - schnell immer weiter einschränken können.

5. Armut
Die durch den Sozialabbau erzeugte Armut ist ein erwünschtes Druckmittel auf Jene, welche noch Arbeit haben, indem ihnen der drohende soziale Absturz durch Verlust des Arbeitsplatzes als Drohung vor Augen geführt wird. Durch die jetzige Weltwirtschaftskrise ist immer mehr Druck und stärkere Ausbeutung notwendig, um die Profite zu sichern.
Die Politiker sind Lakaien des Großkapitals. Das wurde gerade in jüngster Zeit in Form der "Nebeneinkünfte" der Parlamentarier sichtbar. In den kapitalistischen Medien wird leider "vergessen" zu erwähnen, daß die Bezahlung nicht für eine zeitlich ohnehin unmögliche Nebentätigkeit erfolgt, sondern für ihre parlamentarische Lobbyarbeit.
Wer also soll das Grundeinkommen von wem erbitten oder gegenüber wem mit welchen Druckmitteln durchsetzen? Oder soll es auf den Wunschzettel für den Weihnachtsmann gesetzt werden?

Zusammenfassung: Kapitalismusverbesserung ist Wunschdenken. Für die Einführung eines Grundeinkommens gibt es nur einen Weg: die revolutionäre Errichtung des Sozialismus.

Soweit meine Aussagen (nicht wörtlich, da aus dem Gedächtnis geschrieben und von späteren besseren Ideen überlagert). Was ich wirklich sagte, ist als Mitschnitt für "coloradio" festgehalten.

Die Referenten und ein Diskussionsteilnehmer gingen nur auf meine Frage ein, WER das Grundeinkommen erbitten soll. Antwort: "Wir" müssen es erkämpfen. Schon das "Wir" blieb unklar (die vielleicht 60 Leute im Raum? die Referenten und ich?) Über den zweiten von mir erwähnten Teil, die Mittel, um den nötigen Druck zu erzeugen, schwiegen sie sich aus. Aus Feigheit? Mangels Ideen (was auszuschließen ist, sonst hätten sie ja fragen können)?

Alles in Allem ist zu sagen (weshalb ich auch stark überlegt habe, ob ich überhaupt etwas über diese Veranstaltung schreibe), daß schon die Beschäftigung mit den Ideen solcher Kapitalismusverbesserer, ob die nun attac, BüSo oder PDS heißen, pure Zeitverschwendung ist. Unter Vernachlässigung alles Wesentlichen arbeiten sie Nebensächlichkeiten und Wunschträume detailliert aus. Selbst die Zeit, der Frage nachzugehen, ob sie das aus Dummheit oder korrumpiert in verräterischer Absicht tun, ist schon verschwendet, weil die Antwort bedeutungslos ist.

Es gibt nur einen Grund, sich mit diesem Unsinn zu beschäftigen: von der Kapitalistenpresse als "Linke" inszeniert, dienen diese Kräfte der Spaltung der Arbeiterbewegung, der Ablenkung, der Irreführung des Denkens, sowie der Illusion, da wäre ja schon irgendwo eine große Bewegung mit intelligenten Spitzen, weshalb es ja reicht, gar nichts zu tun oder sich diesen Kräften anzuschließen. Deren Scheinbewegung bremst jede wirkliche Bewegung. Deshalb gehört zu unseren Aufgaben, uns mit ihren Lügen und Scheinlösungen zu befassen, um sie bloßzustellen.

Unser Vorteil ist: Was diese Kräfte in Monaten und Jahren Arbeit Mehrerer aushecken, können wir in Minuten analysieren und wir können die Schwachpunkte nicht nur entdecken, sondern mit einfachen Worten und Argumenten aufdecken und für Andere sichtbar machen. Gerade solche Veranstaltungen beweisen die Überlegenheit der wissenschaftlichen marxistisch-leninistischen Weltanschauung, zu der die kommunistische, in ihrem Wesen dialektisch-materialistische, Philosophie gehört, gegenüber bürgerlichem "Expertentum", durch welches Bereiche von Natur, Gesellschaft und Bewußtsein scheinbar sorgfältig untersucht, aber nicht in einen Gesamtzusammenhang gebracht werden.

Kurz und schlecht: Diese Veranstaltung reichte mir. Anderen vielleicht nicht. Am 21.03. ("Mindestlohn") und 18.04. ("Bolkestein-Richtlinie") folgen jeweils 19:30Uhr am gleichen Ort noch zwei, beide mit Referenten von attac und ver.di.

10.03.2005

Torsten Reichelt

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Das Umdenken