Der Wüstendiktator
Eine aktualisierte Theaterkritik nach Fortsetzung des Machwerks
Wir erinnern uns an die Beurteilung nach dem ersten Akt vom 29.11.2002:
"Wenn der Gesamteindruck nicht so trostlos wäre, könnte man über die
Durchschaubarkeit des Stückes lachen. Der einfallslose Autor kopierte ungeniert
ganze Passagen seines Dramas "Tränen in Kabul". Bis zum jetzigen Zeitpunkt
zeichnet sich die ungeheuerliche Schandtat des Diktators noch nicht ab, die in
großen Lettern von den Plakaten prangt. Von Minute zu Minute verstärkt sich der
Verdacht, es könne sich dabei nur um einen Werbetrick handeln. Die überzeugende
Herausarbeitung der Charaktere gelang ebenfalls nicht.
Bei der Auswahl der Akteure bewies auch der Regisseur wieder einmal keine
glückliche Hand. Dem Darsteller des Wüstendiktators macht offensichtlich die
Nachgiebigkeit und der Realitätssinn der Figur zu schaffen. Die arrogante und
überzogen aggressive Umsetzung des Weltenretters führte dagegen zu erheblichen
Antipathien des Publikums, welches diese bereits durch lautes Murren kundtat.
So bleibt nur zu hoffen, daß der Intendant ein Einsehen hat und das insgesamt
dilettantische Stück vorzeitig abbricht. Ansonsten steht zu befürchten, daß
diese Zumutung von Aufführung in Krawallen gipfelt, welche nicht nur die
Akteure gefährden.
Das Stück wurde nicht abgebrochen. Der zweite Akt wird von blutigen
Schlachtszenen dominiert. Das Publikum zeigte sich nicht nur von dem Gemetzel
unter Zivilisten schockiert, sondern auch von der Zerstörung
unwiederbringlicher Kunst- und Kulturschätze unter den Augen der "Befreier".
Der offensichtliche Widerspruch zwischen Erfolgsmeldungen über Sieg und Aufbau
und anhaltendem Terror der Besatzer und ihrer Marionettenregierung zog große
Teile des Publikums auf die Seite des heldenhaften Widerstands der
Wüstenkrieger.
Dritter Akt: Die Anschuldigungen gegen den Wüstendiktator stellen sich als
Farce heraus. Was die Besatzer nicht daran hindert, das Land weiter zu
verwüsten. Nach einer ebenso spektakulären wie von logischen Fehlern
strotzenden Ergreifung des Wüstendiktators (welch üble Schmierendramatik: in
einem Erdloch!) und einem juristischen Willkürakt wird der Wüstendiktator auf
offener Bühne gehängt. Das einzig Würdige an dieser Brechreiz erregenden Szene
ist seine Haltung.
Und noch immer hat der Intendant kein Einsehen. Die "Handlung" des vierten
Aktes beschränkt sich auf Mord und Totschlag, vermischt mit Lügentiraden des
Weltenretters und seiner Kumpane. Das Publikum ist angewidert, wird aber noch
immer nicht erlöst. Zu allem Überfluß werden immer wieder Anspielungen auf das
nächste Stück des Autors, umgesetzt vom gleichen Regisseur mit der gleichen
Truppe untalentierter Darsteller, eingestreut. Anlehnend an Homers klassisches
Erfolgsstück soll dessen Titel lauten: "Der Kampf um Teheran".
08.06.2007
Torsten Reichelt