Weihnachtsgeschichte 2010


„Hach, war das ein schöner Striezelmarkt!“ seufze ich in meinem Krankenhausbett. Naja, war. Jedenfalls, bis das SEK anrückte und Jagd auf Terroristen machte. Mit Hubschraubern, Mannschaftswagen und gepanzerten Fahrzeugen. Mann, war das nach dem chirurgisch-präzisen Zugriff vielleicht ein Chaos. Pilz- und Jägerpfannen, Grünkohl und eimerweise Glühwein ergossen sich zwischen Erzgebirgsschnitzereien, Kerzen, Pantoffeln, Pelzmützen und Kräppelchen der zerstörten Stände. Rumpelstilzchen tanzte – zwar ohne Kopf - noch immer um sein elektrisches Feuer und ich überlegte, wie gut es doch sei, daß er nur eine Puppe ist und noch nicht durch einen Ein-Euro-Jobber ersetzt wurde, weil ein solcher wohl ohne Kopf nicht mehr tanzen würde. So wie der Terrorist, der die 13 Warnschüsse in seinen bösen Terroristenschädel mit endgültiger Auf- und Abgabe (des Löffels) quittierte. Seinen beiden Komplizen ging's kaum besser, auch wenn sie noch deutlich besser aussahen, da sie sich wesentlich weniger Treffer in den Hinterkopf einfingen. Bei meinem Abtransport sah ich, daß sie sogar noch so etwas wie Gesichter hatten. Man müßte nur den Grünkohl, den Glühwein, das Blut und ein paar winzige Tüpfelchen Hirnmasse abwischen und schon wären sie wieder vorzeigbar. Aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe (die muß wohl an irgendwelchen der Sarrazinschen Gene liegen) würde noch nicht einmal ihre Leichenblässe auffallen.

Ansonsten verlief die Aktion bewundernswert zielgerichtet. Unter den Besuchern des Striezelmarkts wurden nur knapp 30 Personen in Mitleidenschaft gezogen, nur 12 davon schwer, davon werden nur 4 bleibende Schäden behalten und nur 2 sind tot. Das geht bei der Jagd auf Terroristen mehr als in Ordnung, wie wir ja seit vorigem Jahr aus Kundus in Afghanistan wissen. Wenn Terroristen bekämpft werden müssen, soll sich mal die Zivilbevölkerung, die sich trotz Warnung in ihrer Nähe aufhält, nicht so haben. Zu mir sagte der Arzt vorhin bei der Visite, daß ich beim heutigen Stand der Technik kaum eine Veränderung bemerken würde zwischen meinem Arm, der irgendwo zwischen Weihnachtsgänsen und Thüringer Würsten endete – leider bemerkte der Polizist, zu dem der Hund gehörte, zu spät, daß der nicht auf einer Gänsekeule herumkaut – und der schicken neuen Prothese. Allerdings meinte Dr. Penunze, wie das mit der Kostenübernahme sei, wisse er nicht genau, aber viel mehr als 10.000 Euro würde mich das wohl kaum kosten. Anschaffungskosten, versteht sich, ohne Mehrwertsteuer und Wartung.

Oh, jetzt wird gerade im Radio über den Einsatz berichtet. Gleich wird mein Name genannt, wie ich heldenmütig im Kampf gegen den internationalen Terrorismus meinen Arm verlor. Das hat sogar was Symbolisches, denn mir fehlt nun genau die Hand, mit der ich Minuten vor dem Zugriff selbst die Sicherheitskräfte per Mobiltelefon über die Terroristen informierte. Schließlich bin ich ein großer Freund der Staatssicherheit, ich meine der Sicherheit des Staates BRD und seiner Bürger. Und so nahm ich mir selbstverständlich die Aufforderung zu Herzen, sofort zu melden, wenn ich irgendwo terroristisch aussehende Subjekte sehe, die sich in fremden Zungen unterhalten. Zumal noch inmitten einer Menschenmenge, die ja als Anschlagsziel bekanntgegeben wurde. Und außerdem waren die drei ja auch noch dunkelhäutig und trugen dicke Jacken, wo sicher kiloweise Sprengstoff drunter versteckt war. Für mich klangen die auch ziemlich arabisch.

Wie bitte, was sagen die? Ein Irrtum? Zwei Bayern aus der Nähe von Rosenheim und ein Kölner, die braungebrannt aus einem Afrikaurlaub zurückkamen und bedauerlicherweise von einem offenbar unter Terrorhysterie Leidenden als verdächtig gemeldet wurden? Kein Sprengstoff?

Au weia. Und dafür ist nun mein Arm futsch. Mein Arm tut weh. Oder jedenfalls die Stelle, wo der einmal war. Die Schmerzen werden immer unerträglicher. „Schwester, Schwester“ schreie ich, denn auf die Klingel reagiert niemand. „Schwester …“

Schweißgebadet schrecke ich hoch. Mein Arm tut weh. Ich habe wohl blöd drauf gelegen, er fühlt sich auch ganz fremd und taub an und die Hand kribbelt. Aber was macht das schon? Ich habe ihn ja noch. Ach ja, und auf den Striezelmarkt gehe ich morgen erst. Und habe beim Einschlafen darüber nachgedacht, ob das wohl klug ist, denn die Terrorgefahr scheint ja ganz akut zu sein, wie sie sagen.

Tja, und was mache ich morgen, wenn da drei dunkelhäutige Typen mit dicken Jacken stehen und sich in einer mir unbekannten Sprache unterhalten?

Nee, nee, da gehe ich lieber gar nicht erst hin. Dann verliere ich auch meinen Arm nicht. Ich kann ja lieber bißchen fernsehen. Vielleicht kommen da ja die neuesten Erkenntnisse über die Anschlagspläne. Wer weiß, was die Terroristen noch so Alles vorhaben. Zum Glück haben wir ja die Geheimdienste, Politiker und Medien ...

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Das Umdenken