Das Böse
Das Böse (Satan, Teufel und seine Engel, alte Schlange, Tier...) ist einer der
zentralen Begriffe der Bibel. Aber was ist das Böse? Aus meiner Sicht ist das
gar nicht so unbestimmt, wie gern getan wird.
Böse ist die beabsichtigte oder inkaufnehmende Erzeugung von
- größerem als geringstmöglichem Schaden und
- geringerem als größtmöglichem Nutzen.
Gut ist im Unterschied dazu das Anstreben größten Nutzens oder geringsten
Schadens,
jeweils bezogen auf das gesamte überschaubare Wirkungsfeld einer Handlung.
Somit ist böse nicht das Gegenteil von gut, sondern die bewußte
Entscheidung, schlechter als möglichst gut zu sein und durch Handlung oder
Unterlassung aus persönlichen Gründen Anderen und der
Gemeinschaft zu schaden.
Woran ist aber Schaden für die Gemeinschaft zu erkennen? Immerhin läßt sich die
Gemeinschaft bis hin zur Menschheit fassen. Wie bereits genannt, ist der
Maßstab der Beurteilung das überschaubare Wirkungsfeld, und zwar vom jeweils
Einzelnen aus betrachtet. Dafür existiert schon lange eine einfache, nämlich
die "Goldene Regel":
- Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß
sie allgemeines Gesetz werde. oder:
- Behandle jeden anderen Menschen, wie Du selbst behandelt werden möchtest. oder:
- Was Du nicht willst das man Dir tu' das füg' auch keinem Andren zu.
Das gilt für Einzelpersonen ebenso wie für Personengruppen.
Warum entsteht der Gemeinschaft Schaden, wenn das vernachlässigt wird? Dazu
möchte ich erläutern, welche Ergebnisse sich aus der Wechselwirkung von
Menschen verschiedener Verhaltensmuster ergeben: kooperativ (gemeinnützig oder
selbstaufopfernd) oder nichtkooperativ (selbständig oder selbstsüchtig).
1) Zwei gemeinnützige, zum gegenseitigen Nutzen handelnde Menschen, verstärken
die Einzelnutzen für beide (da sie z.B. Talente des Einzelnen arbeitsteilig
besser
nutzen, Aufgaben bewältigen, die dem Einzelnen unmöglich sind usw.).
2) Zwei selbstaufopfernde (altruistische) Menschen, die nur zum Nutzen des
Anderen handeln, entsprechen 1), da der jeweils Andere die Interessen des sich
aufopfernden wahrt.
3) Zwei Menschen, die selbständig nur zum eigenen Nutzen handeln (autonom),
erreichen zusammengenommen die Summe der Einzelnutzen.
4) Zwei Menschen, die selbstsüchtig (egoistisch) zum eigenen Nutzen und zum
Schaden des
Anderen handeln, vermindern den Gesamtnutzen (Zeit und Energie
werden damit verplempert, dem Anderen zu schaden).
5) Ein gemeinnütziger und ein selbstaufopfernder Mensch wirken fast wie 1) (nur
daß der gemeinnützige Zeit und Energie aufwenden muß, um zu verhindern, daß
sich der selbstaufopfernde benachteiligt).
6) Ein gemeinnütziger und ein selbständiger Mensch wirken wie 3) (die
Verstärkung des Nutzens erfordert Zusammenarbeit, die durch den selbständigen
unmöglich ist).
7) Im Falle, ein gemeinnütziger und ein selbstsüchtiger Mensch wechselwirken,
läßt sich der gemeinnützige zwar nicht ausnutzen, aber der selbstsüchtige
verschwendet Energie und Zeit, das zu versuchen.
8) Ein selbstaufopfernder und ein selbständiger Mensch liefern geringeren
Nutzen als 3) (der selbstaufopfernde schadet sich selbst).
9) Ein selbstaufopfernder und ein selbstsüchtiger Mensch leisten noch weniger
(der selbstaufopfernde schadet sich selbst und zusätzlich verplempert der
selbstsüchtige Zeit und Energie, ihm zu schaden).
10) Ein selbständiger und ein selbstsüchtiger Mensch wirken wie 7) (der
selbständige läßt sich zwar nicht ausnutzen, aber der selbstsüchtige
verschwendet Energie und Zeit, das zu versuchen).
Hieraus ist leicht erkennbar, daß 1), 2) und 5) (Aufeinandertreffen
kooperativen Verhaltens) das für die Gemeinschaft günstigste
und 4) (Aufeinandertreffen schädigenden Verhaltens) das ungünstigste Ergebnis
liefern. Diese Schlußfolgerungen lassen sich in vereinfachter Form mittels
Computersimulationen bestätigen (Das Gefangenendilemma).
Jeder mag selbst bestimmen, wie er
handelt, und was an der üblichen Auffassung dran ist, Konkurrenz,
Durchsetzungsvermögen und Erstreben persönlicher Ziele brächten die
"Gesellschaft" voran. Jedes vom Gemeinnutz abweichende Verhalten schadet der
Gemeinschaft.
Auch Selbstaufopferung (trotz guter Absicht), da die Menschheit nicht
ausschließlich aus kooperativen Menschen besteht und das wohl auch nie wird.
Sobald ein selbstaufopfernder Mensch auf unkooperative
Partner trifft, verstärkt er deren schädliche Wirkung auf die Gemeinschaft. Das
mag nicht sofort einleuchten, aber man denke neben den genannten
Nutzenerwägungen auch an
das Handeln zum eigenen Nachteil, welches Andere abschreckt und scheinbar
beweist, daß "gute Menschen" die Dummen sind. Der Denkfehler liegt darin, daß
sie zwar gute Absichten haben, aber objektiv nicht gut handeln.
Nicht umsonst heißt es in der Bibel: "Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich
selbst." und nicht nur "Du sollst Deinen Nächsten lieben." (siehe auch Mißbrauchte Nächstenliebe). Das Gebot der gleichen Selbstliebe
verhindert, daß man sich von Egoisten ausnutzen läßt. Man kann auch rechnerisch
ermitteln, daß das Optimum des Handelns bei genau gleicher Nächsten- und
Selbstliebe liegt. Jedes Ungleichgewicht des Nutzens erzeugt Schaden.
Jesus wird gern als Beispiel der Selbstaufopferung genannt. Das ist falsch. Er
hat seine Ideale verbreitet und verwirklicht, und die beziehen sich auf die
Gemeinschaft und nicht auf Einzelne. Er hat dabei bewußt Anderen geschadet und
den folgerichtigen eigenen Schaden inkaufgenommen. Indem er z.B. die Autorität
der religiösen Oberhäupter untergrub, durch Abwerbung die Einnahmen der
Priesterschaft beschnitt und die Steuereinnehmer zur
Berufsaufgabe brachte lieferte er der jüdischen Obrigkeit und der römischen
Besatzungsmacht den Anlaß seiner Kreuzigung.
Er hat sich geopfert, aber für diejenigen, welche dadurch seine Ideen
kennenlernen und weiterverbreiten - bis heute. Das würde weiterhin großen
Schaden für Egoisten und Mächtige verursachen, wenn die nicht inzwischen so
pfiffig gewesen wären, seine Lehre für ihre Zwecke zu verdrehen und den Leuten
einzureden, sie müßten leiden und
dulden, um in den Himmel zu kommen.
Mutter Theresa paßte z.B. hervorragend in dieses Konzept, weshalb sie auch
nicht gekreuzigt oder gesteinigt wurde, sondern massenwirksam verehrt. Das
hätte sich wohl
schlagartig geändert, wenn sie auch nur verbal gegen die Ursachen des Leides
vorgegangen wäre, welches sie lindert. Ich unterstelle ihr nur beste Absichten.
Aber die armen Gegenden der Welt sind ein Faß ohne Boden, solange irgendwelche
Egoisten sofort die geringste sich bietende Möglichkeit nutzen, sich daran zu
bereichern. Selbstaufopferung mag gut und edel klingen (das Bild
wird ja nicht umsonst ständig genährt), aber sie dient zwei Parteien: den
Leidenden und den Leidverursachern.
Letztere können nämlich damit umso stärker
weitermachen und sich bereichern, je mehr Idioten sich finden, die das auf
eigene Kosten mildern. Dann um drei Ecken milde Gaben wieder an die Opfer zu
verteilen, dient den Tätern, indem sie durch Wohltätigkeit das Böse, den
Schaden an Anderen,
verschleiern.
Man denke nur an das Wohltätigkeitssystem in den USA. Wo stammt das Geld wohl
her? Die Spender werden etwas von den Früchten ihrer harten Arbeit erzählen.
Jeder mag sich selbst fragen, wie hart man arbeiten muß, um gegenständliche
Werte von beispielsweise einer Million Dollar zu schaffen. Im Gegensatz zu
allgemein verbreiteten Irrtümern arbeitet Geld weder, noch vermehrt es sich.
Ich habe jedenfalls noch kein Geld mit einer Schaufel in der Hand oder beim
Geschlechtsverkehr gesehen. Geld, einstmals geschaffen als nützlicher
Tauschwert, ist zum Instrument der selbstsüchtigen Bereicherung zum Schaden der
Gemeinschaft verkommen.
Das sind natürlich nur wenige ausgewählte Beispiele, das Böse zu erkennen. Sein
Grundmuster ist immer gleich: Bewußt herbeigeführter Schaden an Anderen und
damit der Gemeinschaft. Wir sehen das überall, weshalb wir es nicht
mehr wahrnehmen. Und wir tun es.
Deshalb wird meist so getan, als sei das Böse schwer erfaßbar und viel zu
vielschichtig, es zu beschreiben. Natürlich, denn wer steht schon gern als böse
da?
07.03.2003
Torsten Reichelt
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