Revolution!
Inhalt
1 Warum siegte die Konterrevolution (“Wende”) 1989?
2 Innere Ursachen
3 Schuld
4 Und doch: Revolution!
5 Ochs und Esel
6 Revolution!
Ich würde gern schreiben, daß der vorige Artikel ("Revolution?") aus den
Fingern gesaugt ist.
Aber er entspricht dem Egoismus, der Unwissenheit, der Kritiklosigkeit und der
Faschisierung, welche ich leider täglich in Politik, Medien und auch auf der
Straße beobachten muß: auf der Prager Straße in Dresden, auf der ich agitiere,
von Revolution rede und zur Revolution rufe.
Nein, ich bin kein "Revoluzzer" und glaube nicht, daß morgen Massen
klassenbewußter Proletarier (Lohnarbeiter) unter Führung einer kommunistischen
Partei die politische Macht ergreifen, durch Enteignung der Bourgeoisie,
insbesondere zunächst des Großkapitals, und Herstellung von Volks- und
genossenschaftlichem Eigentum auch die wirtschaftliche Macht erlangen und so
den Sozialismus errichten.
Dennoch versuche ich, "radikal (Adj.) 1 gründlich, restlos 2 bis zum Äußersten gehend 3 politisch extrem [lat]" und fundamental ("Fundamentalist (der, -listen, -listen) Verfechter des Fundamentalismus, der hinsichtlich
seiner ideologischen oder religiösen Prinzipien keine Kompromisse eingeht
[lat.]") zu handeln. Da diese Begriffe im von den kapitalistischen Medien geprägten
Sprachverständnis negativ belastet sind, spreche ich auch gern von Klarheit,
Konsequenz und Kompromißlosigkeit.
Da ich schon mal bei Begriffen bin: Was ist eine Revolution? "Revolution (die, -, -tionen) Umsturz; stürmische Änderung, Umwälzung [frz.]". Dabei ist keine Rede von gewalttätigen Massen, die bewaffnet, mordend und
plündernd eine bisherige Ordnung zerstören (was das von den kapitalistischen
Medien geschürte Vorurteil über Revolutionen beinhaltet) .
Eine Revolution ist beispielsweise auch die wissenschaftlich-technische aufgrund neuer Erkenntnisse. Diese bestimmt, insbesondere seit Beginn der industriellen Revolution vor etwa 150 Jahren, schon längst unser Leben - und hat die Erde verändert.
Die grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse heißt soziale Revolution. Sie beinhaltet den Übergang einer Gesellschaftsordnung zur anderen. Dieser
Übergang ist zunächst wertungsfrei, da er z.B. sowohl den Übergang von der
kapitalistischen zur sozialistischen / kommunistischen Gesellschaftsordnung als
auch umgekehrt bedeuten kann.
Hier sind zwei Formen der Revolution unterscheidbar:
1. Der Übergang einer veralteten Gesellschaftsordnung, die den
gesellschaftlichen Bedingungen (Produktionsverhältnissen) zunehmend schlechter
gerecht wird und so selbstzerstörerisch wirkt, zur fortschrittlichen
Gesellschaftsordnung (Revolution).
2. Der Übergang der fortschrittlichen zur früheren, rückständigen
Gesellschaftsordnung (Konterrevolution oder Restauration). Die Konterrevolution löst nicht die Widersprüche zwischen Produktivkräften
und Produktionsverhältnissen. Der Rückschritt ist deshalb zwangsläufig nur
vorübergehend und schafft erneut die Voraussetzungen der nächsten Revolution.
Diese nächste Revolution baut auf den Erfahrungen der vorherigen wie auch denen
mit der Konterrevolution auf, findet also auf höherem Niveau statt. Revolution
und Konterrevolution wechseln solange einander ab, bis die revolutionären
Kräfte die fortschrittliche Gesellschaftsordnung aufgrund der
gesellschaftlichen Bedingungen und Erfahrungen endgültig gegen die
konterrevolutionären Kräfte stabilisieren können.
Auf unsere Epoche bezogen ist der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus
(Oktoberrevolution, Kubanische Revolution u.a.) eine soziale Revolution,
während der Rückfall in kapitalistische Produktionsverhältnisse ("Wende '89"
u.a.) eine soziale Konterrevolution ist.
Die sozialistischen Länder hatten sich ausreichend gegen die äußere
Konterrevolution gewappnet. Militärisch (die Konterrevolution wurde nicht
seitens der kapitalistischen Länder durch Interventionskriege vollzogen, wie
das schon nach der Oktoberrevolution erfolglos versucht wurde) wie
wirtschaftlich (der RGW {Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe} war nicht von
kapitalistischen Ländern abhängig).
Wenn der Sozialismus vordergründig nicht an äußeren Einwirkungen scheiterte
(die Konterrevolution wird nicht umsonst als "friedliche Revolution"
bezeichnet), woran dann?
1 Warum siegte die Konterrevolution (“Wende”) 1989? [zum Inhaltsverzeichnis]
Ich widerspreche Meinungen, welche die wesentlichen Kräfte der Konterrevolution
im damaligen kapitalistischen Teil der Welt sehen. Deren konterrevolutionäre
Bestrebungen bestehen ohnehin, solange der Kapitalismus irgendwo existiert.
Diese Kräfte suchen ständig neue Wege, den Kapitalismus in sozialistischen
Ländern zu restaurieren. Aber sie haben nur dann Erfolg, wenn die
revolutionären Kräfte in diesen Ländern nicht mehr in der Lage sind, die
fortschrittliche Gesellschaftsordnung zu stabilisieren und der Konterrevolution
zu widerstehen.
2 Innere Ursachen [zum Inhaltsverzeichnis]
Im Artikel "Gescheitertes Modell Kommunismus" bin ich bereits auf grundlegende
Fehler beim sozialistischen Aufbau eingegangen und will mich hier nicht
wiederholen.
Um die Mechanismen der Konterrevolution '89 zu verstehen, muß man nur die
historischen Tatsachen, z.B. in der DDR, betrachten: Der sozialistische Aufbau
stagnierte, der eigene Sozialismus wurde selbst als "real existierender
Sozialismus" bezeichnet und anstatt des Kommunismus wurde die "entwickelte
sozialistische Gesellschaft" zum strategischen Ziel erklärt. Partei und
Regierung konnten der Bevölkerung, insbesondere dem Proletariat, keine
erstrebenswerten Visionen mehr zeigen. Die SED war keine führende Kraft des
sozialistischen / kommunistischen Aufbaus mehr, keine Partei neuen Typus.
Realitätsferne Phrasen ersetzten wirkliche Programme.
Erst so wurde möglich, daß Gruppen wie "Neues Forum", "Demokratischer Aufbruch"
oder die "Gruppe der 20" an Einfluß gewinnen konnten. Sie hatten zwar ebenfalls
keine Programme zur fortschrittlichen Entwicklung der Gesellschaft, also
Fortsetzung der Revolution, aber stellten für die Mehrheit der Bevölkerung eine
mögliche, wenn auch völlig unbestimmte Alternative zur damaligen Politik dar.
Nachdem Regierung, Volkskammer sowie staatliche Verwaltungs- und Machtorgane
einschließlich Staatssicherheitsdienst fast sang- und klanglos das Feld geräumt
hatten, wurde die Ziel- und Planlosigkeit der alternativen Gruppen (anders kann
ich sie nicht nennen) erst richtig sichtbar. Insbesondere am "Runden Tisch"
wurde klar, daß niemand ein klares Ziel, geschweige denn eine brauchbare und
fertige Strategie und Taktik hatte.
Erst in dieses Machtvakuum und die Orientierungslosigkeit stießen dann die
äußeren konterrevolutionären Kräfte, machten aus "Wir sind das Volk!" "Wir sind
ein Volk!" und kauften die DDR-Bürger für DM 100,- pro Stück (inklusive deren
Land, Immobilien und Industrie, die mehrheitlich Volks- oder
genossenschaftliches Eigentum waren).
Nein, ich sage nicht, daß die äußeren konterrevolutionären Kräfte überrascht
oder an den Vorgängen unbeteiligt waren. Sie warteten nur ab, bis wir uns mit
ihrer Hilfe selbst gargekocht hatten, um uns dann zu verspeisen. So blieben sie
als treibende Kräfte der Konterrevolution unsichtbar. Das brachte ihnen einen
wichtigen psychologischen Vorteil: wenn jetzt ein Ex-DDR-Bürger lamentiert, daß
der Kapitalismus ihm so nicht mehr gefällt, kann ihm leicht vorgeworfen werden,
er sei ja selbst daran schuld.
3 Schuld [zum Inhaltsverzeichnis]
Ja, wir waren und sind schuldig, ich nehme mich da nicht aus. Schuldig daran,
jetzt im Kapitalismus mit seinen Krisen, Kriegen und anderen Verbrechen leben
zu müssen. Schuldig, die Konterrevolution nicht verhindert zu haben. Schuldig,
den Sozialismus nicht verteidigt und so den kommunistischen Aufbau vorerst
verhindert zu haben. Aber vor Allem schuldig, der Konterrevolution noch keine
neue Revolution entgegengestellt zu haben.
Nein, derzeit besteht keine revolutionäre Situation im leninschen Sinn. Jetzt
zur sozialen Revolution zu rufen, wäre eine Verkennung der objektiven
Bedingungen und reiner Selbstmord. Derzeit existiert kein einiges,
klassenbewußtes Proletariat, sowenig wie eine Kraft existiert, welche die
strategische und taktische Führung übernehmen kann. Die führende Kraft, die
Partei neuen Typus, die kommunistische Partei, hat sich noch nicht einmal
formiert, von Massenwirksamkeit ganz zu schweigen.
4 Und doch: Revolution! [zum Inhaltsverzeichnis]
Auch wenn die soziale Revolution jetzt nicht möglich ist, steht doch eine
Revolution auf der Tagesordnung. Wie ich schon anfangs schrieb, existieren
verschiedenen Arten von Revolutionen. Alle sind Grundlage gesellschaftlicher
Veränderungen.
Die soziale Revolution wird durch eine andere vorbereitet: die persönliche. Die
persönliche Revolution ist nötig, um die führende Kraft, die kommunistische
Partei, formieren zu können. Die Angehörigen dieser kommunistischen Partei
müssen zuerst ein kommunistisches Bewußtsein entwickeln und kommunistisches
Handeln üben. Erst dann sind sie imstande, durch Agitation und eigene
Vorbildwirkung massenwirksam zu werden.
Zudem werden sie erst so in die Lage versetzt, Ziel, Strategie und Taktik so zu
erarbeiten, daß die soziale Revolution unter ihrer Führung zum endgültigen
Erfolg führt.
Der Gedanke der persönlichen Revolution als Grundlage der sozialen ist uralt.
Nicht nur Marx, Engels und Lenin mußten erst ein kommunistisches Bewußtsein
haben, um den wissenschaftlichen Kommunismus entwickeln zu können und
(insbesondere Lenin) erfolgreich umzusetzen.
Nein, schon in den Heiligen Schriften der christlichen Religion, z.B. der
Bibel, wird die Buße (=Umdenken, persönliche Revolution) als Grundlage der
gesellschaftlichen Veränderung, also sozialen Revolution, seit Jahrtausenden
und nicht erst seit Jesus benannt. Was wenig bekannt ist: Die ökonomischen
Verhältnisse und die Eigentumsfrage waren zentraler Bestandteil der
Organisation der von Jesus initiierten urchristlichen Gemeinden
(Apostelgeschichte 4;32ff.). Leider war er mit seinem Denken der Entwicklung
der Produktionsverhältnisse fast 2000 Jahre voraus. Ihr merkt schon: ich kann
nicht lassen, zu missionieren und Jesus als Kommunisten zu rehabilitieren.
Um nicht mißverstanden zu werden: ich bin erklärter Gegner der institionellen
Kirchen und Jesus war das schon zu seiner Zeit (steht auch in der Bibel). Aber
genug davon; der Artikel handelt von der Revolution und nicht von
Religionskritik.
5 Ochs und Esel [zum Inhaltsverzeichnis]
Falsch ist, daß sozialistische Produktionsverhältnisse automatisch persönliches
sozialistisches / kommunistisches Bewußtsein hervorbringen. Ausdruck dieses
Irrglaubens war das von Erich Honecker verwendete Zitat August Bebels (1903 vor
dem Deutschen Reichstag): "Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch
Esel auf.". Erst recht ist so nicht zu erklären, warum kapitalistische
Produktionsverhältnisse sozialistisches / kommunistisches Bewußtsein gebären.
Sozialismus ist die auf dem wissenschaftlichen Kommunismus aufbauende
notwendige und aktiv gestaltete Übergangsgesellschaft zwischen Kapitalismus und
Kommunismus. Diese entwickelt sich nicht von selbst, sondern muß gestaltet
werden. Phrasen, optimistische möchtegernmarxistische Scheißhausparolen und
Wunschdenken behindern sie. Zuerst muß sich die führenden Kraft formieren und
den wissenschaftlichen Kommunismus dann verständlich den Kräften verkünden, welche erkennen müssen, welcher Klasse sie angehören
und wie sie die Interessen ihrer Klasse durchsetzen können.
6 Revolution! [zum Inhaltsverzeichnis]
Ich rede von der Revolution. Ich rede von der persönlichen (Übergang vom
Egoismus zum Gemeinnutz) wie der sozialen Revolution (Übergang vom Kapitalismus
zum Sozialismus / Kommunismus).
Jedes Zugeständnis an das kapitalistische System und egoistisches Denken wird
immer wieder in kapitalistische Produktionsverhältnisse führen - solange wir
nicht lernen, daß Kommunismus nicht nur Ausdruck der gesellschaftlichen
Produktionsverhältnisse, sondern auch des persönlichen Denkens und Verhaltens
ist.
Die proletarische (kommunistische) Revolution ist nicht nur eine soziale,
sondern auch persönliche. Die persönliche muß der sozialen voraus- und dann mit
ihr ständig einhergehen. Anders gesagt: Das gesellschaftliche Sein und das
gesellschaftliche Bewußtsein beeinflussen sich gegenseitig; das
gesellschaftliche Bewußtsein als Ausdruck der persönlichen Revolution darf
(nach Herstellung der sozialistischen Produktionsverhältnisse) nicht
zurückbleiben.
Ich rufe jetzt zur persönlichen Revolution. Sie ist von den gesellschaftlichen
Bedingungen unabhängig und schafft die Grundlage der sozialen Revolution. Wenn
deren Bedingungen gegeben sind, werde ich zur sozialen Revolution rufen (falls
ich dann noch lebe).
Ich werde oft gefragt, wann das denn sei. Ich antworte: "Ich weiß es nicht.
Aber wer hätte 1988 gedacht, daß 1990 die DDR Teil der kapitalistischen BRD
sein wird und der Sozialismus weltweit zurückgedrängt ist?". Ich weiß, daß der
Kommunismus die zukünftige Gesellschaftsordnung ist und kommen wird. Und daß
ich täglich alles mir Mögliche tun muß, ihn vorzubereiten und zu errichten.
Revolution!
18.02.2004
Torsten Reichelt
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