Kapitalismusverbesserer: attac
A: Was denken Sie vom jetzigen Sozialabbau? Kann das so weitergehen? Z.B. die
sogenannten Gesundheitsreformen?
B: Besser gesagt, Maßnahmen zur weichen Euthanasie. Für sozial Schwache werden
immer mehr medizinische Leistungen unerschwinglich.
C: Jeder soll doch selbst mehr zu den Gesundheitsleistungen beitragen. Er nimmt
sie ja in Anspruch. Ich sehe nicht ein, für Andere mitzubezahlen.
B: Leider nehmen Manche sogar notwendige Leistungen eben nicht mehr in
Anspruch. Wie der nierenkranke Frührentner in Hameln, der letztes Jahr durch
die Medien ging. Er ließ eine Dialyse ausfallen. Er mußte sich erst das Geld
für die Fahrt zusammenbetteln. Er starb dadurch
A: Oder nehmen wir die sogenannten Arbeitsmarktreformen.
B: Durch die immer Weniger immer mehr für immer Weniger arbeiten. Der Gipfel
ist Hartz IV. Das ist Zwangsarbeit.
C: Na und? Ich sehe doch nicht ein, warum ich die Arbeitslosen mit durchfüttern
soll. Sollen sie ruhig mal etwas arbeiten. Sie kriegen schließlich Geld.
A: Betrachten wir doch die Steuerreformen.
B: Erst letzte Woche (am 17.03.05) wurden weitere Steuergeschenke für
Großverdiener beraten. Die Umverteilung wird immer stärker. Fast wie bei Robin
Hood, bloß andersrum: den Armen nehmen und den Reichen geben.
C: Was interessiert mich das? Solange es mir gut geht, können die sich
meinetwegen die Taschen vollstopfen.
A: Aber Sie sehen doch, wo das hinläuft. Irgendwann wird es auch Sie treffen -
vielleicht werden Sie krank oder Ihre Firma schließt und Sie stehen nach einem
Jahr mit Arbeitslosengeld 2 da. Dann werden Sie auch sehen, dass ein solches
Einkommen kein menschenwürdiges Dasein zulässt.
C: Na ja, ein bisschen wenig ist das schon, 331 Euro im Monat.
A: Eben. Abgesehen davon, dass Viele aus ihren Wohnungen fliegen werden - und
vielleicht bald auch Sie.
B: Aber was wollen Sie dagegen machen?
A: Sehen Sie, wir von attac haben da eine sehr einfache Lösung.
C: Da bin ich aber gespannt.
A: Jeder bekommt ein Grundeinkommen von etwa 1000 Euro, und zwar ohne
Arbeitszwang und Bedürftigkeitsprüfung.
C: Und wer soll das bezahlen? Ich gehe doch nicht für Faulpelze arbeiten!
A: Das machen Sie sowieso. Denn es ist ja nicht genügend Arbeit für Alle da.
Außerdem haben wir das mal durchgerechnet - das wäre kaum teurer als das, was
jetzt für die Arbeitslosen ausgegeben wird. Das bringt sogar noch weitere
Vorteile.
C: Und die wären?
A: Durch die steigende Kaufkraft von Millionen Menschen kommt die Konjunktur in
Gang, DAS würde echte Arbeitsplätze schaffen. Zudem bekämen die Empfänger des
Grundeinkommens die Möglichkeit, sich ehrenamtlicher Tätigkeit zu widmen - was
wieder andere soziale Bereiche unterstützt, die derzeit unter Mangel an Leuten
leiden. Zu guterletzt würde auch das Lohndumping bekämpft, denn wer arbeitet
für einen Hungerlohn, wenn er für das gleiche Geld zu Hause bleiben kann?
Wir brauchen eine neue Ethik: Nicht das alte "Wer nicht arbeitet, soll auch
nicht essen". Jeder soll die Freiheit haben, auch ohne Arbeit zu leben, ohne
Armutsgefahr.
Außerdem wäre zu überlegen, die Arbeit gleichmäßig zu verteilen. Denn Viele
stöhnen unter der zunehmenden Belastung oder werden davon sogar krank und
berufsunfähig. Gleichverteilung der Arbeit schafft auch neue Arbeitsplätze und
schafft vielen Arbeitern Freiräume für andere Dinge, zu denen sie jetzt kaum
noch kommen: Familie, Hobby, Freunde...
Kurz gesagt: Der Sozialstaat ist sichtbar kaputt. So kann er wieder aufgebaut
werden.
Wissen Sie, wie groß der gesellschaftliche Reichtum der BRD ist? Was auf Jeden
abfallen würde, wenn es gleichmäßig verteilt wäre? 30 Wochenarbeitsstunden für
alle Arbeitsfähigen, Monatsnetto 1800,- Euro zzgl. 300,- Euro Kapitalerträge
verschiedener Art, wohnen in Wohneigentum mit niedrigen Betriebskosten, 78000,-
Euro Kapitalanlagen und 150000,- Euro Geldvermögen.
B: Das klingt sehr schön. Aber es hat einen kleinen Haken. Es geht nicht.
A: Wieso?
B: Sie haben schön gesagt, was Alles gemacht werden müsste. Aber Sie haben
nicht gesagt, wer es von wem erbitten soll.
A: Nicht erbitten, erkämpfen. WIR müssen das gemeinsam erkämpfen.
B: Wer ist WIR?
A: Alle fortschrittlichen Kräfte, die sich für mehr soziale Gerechtigkeit
einsetzen. Linke Parteien, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen wie
attac.
B: Soso. Und mit welchen Mitteln? Petitionen?
A: Nein. Wir müssen demonstrieren, bis die Regierung nicht mehr anders kann,
als nachzugeben. Wir müssen auch selbst in entscheidenden Gremien sitzen.
B: Demonstrieren? Die Montagsdemos und andere Großdemonstrationen letztes Jahr
haben Keinen hinter dem Ofen hervorgelockt. Die Herrschenden können nur durch
Druck zu sozialen Zugeständnissen gezwungen werden. Alle sozialen
Errungenschaften sind Ergebnisse harter Kämpfe. Von denen sind die wirksamen
Mittel bekannt: Streik und Boykott.
Außerdem unterscheiden Sie nicht zwischen Herrschenden und Regierenden. Die
Herrschenden sind die Angehörigen der Kapitalistenklasse, die Bourgeoisie,
insbesondere das internationale Finanzkapital. Die Regierenden sind ihre
Lakaientruppe. Der Oberlakai heißt mal Schmidt, mal Kohl und mal Schröder.
Manchmal auch Hitler.
C: Oh Gott! Die alten Parolen von Bourgeoisie und Proletariat, Klassenkampf und
Revolution! Daß Ihr immer noch nichts begriffen habt! Da gefallen mir die Ideen
von attac aber wesentlich besser.
B: Den Herrschenden auch. Die Leute von attac und andere
Kapitalismusverbesserer wollen ja nicht das Übel an der Wurzel ausrotten. Sie
wollen ein paar braune Blätter des faulen Baums grünpinseln. Schon Marx und
Engels kannten diese Art von Träumern. Ich habe - natürlich rein zufällig - das
Manifest der kommunistischen Partei dabei. Kleinen Moment
...
Ich habs gleich.
...
Ah, hier: Kapitel 2:
"Der konservative oder Bourgeoissozialismus
Ein Teil der Bourgeoisie wünscht den sozialen Mißständen abzuhelfen, um den
Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern.
Es gehören hierher: Ökonomisten, Philanthropen, Humanitäre, Verbesserer der
Lage der arbeitenden Klassen, Wohltätigkeitsorganisierer, Abschaffer der
Tierquälerei, Mäßigkeitsvereinsstifter, Winkelreformer der buntscheckigsten
Art. Und auch zu ganzen Systemen ist dieser Bourgeoissozialismus ausgearbeitet
worden.
Als Beispiel führen wir Proudhons »Philosophie dela misere« an.
Die sozialistischen Bourgeois wollen die Lebensbedingungen der modernen
Gesellschaft ohne die notwendig daraus hervorgehenden Kämpfe und Gefahren. Sie
wollen die bestehende Gesellschaft mit Abzug der sie revolutionierenden und sie
auflösenden Elemente. Sie wollen die Bourgeoisie ohne das Proletariat. Die
Bourgeoisie stellt sich die Welt, worin sie herrscht, natürlich als die beste
Welt vor. Der Bourgeoissozialismus arbeitet diese tröstliche Vorstellung zu
einem halben oder ganzen System aus."
So wie attac. Was soll der Unsinn von der Gleichverteilung des
gesellschaftlichen Reichtums? Natürlich hätten die Armen gern 1800 Euro netto
im Monat, und das bei 30 Stunden Arbeit pro Woche. Aber die Herrschenden werden
Zigtausende oder Millionen Euro ohne Arbeit sicher nicht gegen 1800 Euro
tauschen, für die sie sogar noch arbeiten müssen.
A: Das war auch nur eine Vision. Ich gebe zu, nicht ganz realistisch.
B: Aber alle anderen Punkte gehen auch in die Richtung. Die Schmarotzer sollen
abgeben und die Ausgebeuteten und Unterdrückten sollens erhalten. Damit fällt
eine wichtige Funktion der Armut weg: als Drohung gegenüber den Arbeitenden.
Der drohende materielle und soziale Abstieg dient ja gerade als Motivation.
C: Hmm. Das klingt irgendwie logisch. Aber was ist mit dem Vorschlag, die
Arbeit zu verteilen? Ich hätte auch gern mal wieder ein wenig Zeit für mich.
B: Die Arbeit verteilen heißt Profit verlieren. Das ist eine einfache Rechnung:
Arbeiter müssen leben, deshalb werden sie bezahlt. Sie müssen möglichst auch so
leben, daß sie nicht aufmüpfig werden, genau wie Sie. Nicht-Arbeiter gehen den
Kapitalisten nichts an. Er wäre ein Idiot, mehr Arbeiter als unbedingt nötig zu
ernähren.
A: Aber genau das wollen wir ja. Durch das Grundeinkommen wird ja gerade
erreicht, daß Menschen nicht arbeiten müssen und dennoch keine Armut
befürchten müssen. Ich hatte das genannt. Neue Ethik.
C: Neue Ethik? Ich glaub' mir wächst 'ne Feder! Ich soll immer mehr arbeiten,
damit der Profit erhalten bleibt, während Andere ein gemütliches sorgloses
Leben führen können?
B: Sie sehen, daß die Kapitalismusverbesserei überall auf Widerstand stößt. Die
Herrschenden wollen nicht, die Arbeitenden wollen nicht, nur die Armen wollen -
sie wollen nicht mehr arm sein. Und in dem Moment, wo sie so viele sind,
Veränderungen zu erzwingen, wären sie schön blöd, nicht Alles zu wollen: die
Beseitigung des Kapitalismus, die Enteignung der Schmarotzer, den Sozialismus,
den Reichtum Aller.
A: Mit Euch Radikalen kann man eben nicht reden. Ohne Gewalt gehts bei Euch
nicht. Anstatt mehr soziale Gerechtigkeit wollt Ihr Zerstörung. Und irgendwann
soll dann das kommunistische Paradies entstehen. Wie wir 1989 gesehen haben,
entsteht das bloß nicht.
B: Sie disqualifizieren sich. Ein Fehlschlag sagt nichts über die Richtigkeit
der Richtung. Und sei der Fehlschlag noch so groß. Dem Kapitalismus gings nicht
besser. Selbst das Urbild der bürgerlichen Revolution, die französische 1789,
wurde mehrfach von Kaiserreich und Monarchie zurückgeworfen. Das vergessen die
bürgerlichen Ideologen allzu gern, wenn sie jubeln, der Sozialismus wäre
gescheitert.
C: Um auch mal wieder was zu sagen: ich mag die kommunistischen revolutionären
Ideen nicht. Aber daß Kapitalismusverbesserung Unsinn ist, wird mir langsam
klar. Ich muß wohl nochmal drüber nachdenken. Schließlich gehts um meine
Zukunft, die meiner Kinder und Enkel.
B: Und meine - was sage ich: unsere! Auch um die Zukunft der
Kapitalismusverbesserer von attac, BüSo oder PDS.
21.03.2005
Torsten Reichelt
siehe auch: Der Traum vom Grundeinkommen
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